Navigation und Service

Krieg in der Ukraine: Bedeutung für den Strahlenschutz

Drei Fragen an Inge Paulini

Grafik eines Kernkraftwerks KernkraftwerkGrafik eines Kernkraftwerks Quelle: Oleksandr/Stock.adobe.com

Mit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine vor rund zwei Jahren haben sich das Sicherheitsempfinden der deutschen Bevölkerung und auch das Risiko für einen nuklearen Unfall in Europa verändert. Vor allem als am 4. März 2022 russische Truppen das größte ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja angriffen und besetzten, war die Angst vor einem nuklearen Unfall groß. Seitdem kam es immer wieder zu Zwischenfällen, nicht nur in Saporischschja. Glücklicherweise wurden in keinem Fall radioaktive Stoffe freigesetzt.

Die Kampfhandlungen, die für die Kühlung der Reaktoren benötigte Stromversorgung sowie die Arbeitsbedingungen der Angestellten stellen weiterhin ein Risiko für die kerntechnischen Anlagen in der Ukraine dar.

Drei Fragen an die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Inge Paulini:

Warum ist der Krieg in der Ukraine ein Thema für den Strahlenschutz?

"Als zu Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine russische Truppen in die Sperrzone von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) einmarschierten, rückte die Gefahr eines Unfalls in einem Kernkraftwerk wieder stärker ins Bewusstsein der deutschen Bevölkerung. In diesen ersten Tagen des Krieges war das Risiko eines Nuklearunfalls mit überregionalen Auswirkungen dennoch gering, weil in Tschornobyl bereits seit dem Jahr 2000 kein Reaktor mehr in Betrieb ist.

Mit dem Angriff auf das Kernkraftwerk Saporischschja am 4. März 2022 änderte sich die Situation gravierend: Plötzlich stand das größte Kernkraftwerk Europas im Fokus des Kriegsgeschehens. Eine vergleichbare Situation hat es noch nie gegeben. Und auch, wenn sämtliche Reaktoren des Kraftwerks seit September 2022 heruntergefahren sind, bleibt die Lage in Saporischschja angespannt. Die Front verläuft weiterhin in der Nähe des Kraftwerks, sodass jederzeit eine kritische Situation eintreten kann.

Auch in den anderen ukrainischen Kraftwerken gab es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder kriegsbedingte Zwischenfälle.

Das zeigt: So lange der Krieg andauert, besteht das Risiko eines nuklearen Notfalls mit erheblichen Folgen für Mensch und Umwelt, sodass wir als Strahlenschützer und Strahlenschützerinnen besonders wachsam sein müssen. Kernkraftwerke dürfen nicht in Kriegshandlungen hineingezogen werden.

Die Auswirkungen eines nuklearen Unfalls in der Ukraine auf Deutschland wären voraussichtlich begrenzt. Im schlimmsten Fall könnte in Deutschland eine Kontrolle von Futter- und Nahrungsmitteln erforderlich werden, gegebenenfalls auch eine Vermarktungssperre für kontaminierte Produkte. Vor Ort aber wären die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt erheblich."

Was tut das BfS?

Grafik: Konferenz zu Entscheidungen über SchutzmaßnahmenIm Lagezentrum werden mögliche Folgen eines Notfalls berechnet

"Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BfS beobachten die Lage seit Beginn des Krieges intensiv. Sie überprüfen täglich bis zu 600 Radioaktivitäts-Messwerte aus der Ukraine. Anhand von Wetterdaten ermitteln die Fachleute zwei Mal am Tag mögliche Folgen einer Freisetzung radioaktiver Stoffe.

Welche Auswirkungen eine Freisetzung von Radioaktivität in ukrainischen Kernkraftwerken auf Deutschland haben könnte, hat das BfS bereits in der Vergangenheit untersucht. Dafür wurde ermittelt, wie sich die Radioaktivität verbreiten würde.

Das Ergebnis: Über ein Jahr gesehen bewegten sich in weniger als 20 Prozent der Fälle die Luftmassen aus der Ukraine nach Deutschland.

Mit seinem Radioaktivitäts-Messnetz betreibt das BfS ein wichtiges Frühwarnsystem. 1.700 Messsonden in ganz Deutschland messen rund um die Uhr die natürliche Strahlung und würden einen Anstieg sofort melden. Selbst ein geringfügiger Anstieg von Radioaktivität würde nicht unbemerkt bleiben."

Welche Herausforderungen liegen vor uns?

"Die Bedrohungslage hat sich verändert: Einerseits ist Deutschland aus der Kernkraft ausgestiegen, aber es gibt noch viele Kernkraftwerke in Nachbarländern – 7 davon näher als 100 Kilometer von der deutschen Grenze; andererseits sind neue Bedrohungen hinzugekommen. Dazu gehören Cyberangriffe, Straftaten im Zusammenhang mit radioaktiven Stoffen und selbst der Einsatz von Kernwaffen scheint nicht mehr ausgeschlossen zu sein.

Deutschland braucht in der neuen Sicherheitslage einen noch stärkeren radiologischen Notfallschutz und gute Vorbereitung. Dazu gehört auch, die Abläufe in unterschiedlichen Krisenszenarien immer wieder zu üben.

Das Radiologische Lagezentrum des Bundes als Krisenstab, in dem das BfS eine zentrale Rolle innehat, und das Radioaktivitäts-Messnetz müssen als Teil der Kritischen Infrastruktur eingestuft werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Informationsfluss vom Bund bis zum Katastrophenschutz vor Ort auch funktioniert.

Messstellen in Deutschland Messstellen in Deutschland1.700 Sonden messen in Deutschland Radioaktivität

Das Radioaktivitäts-Messnetz des BfS wird technisch weiterentwickelt und breiter aufgestellt. So soll es widerstandsfähiger gegen Einflüsse von außen gemacht werden, zu denen beispielsweise Stromausfälle oder Cyberangriffe zählen. Zusätzlich soll das Messnetz umstrukturiert werden. In den nächsten Jahren sollen in 15 deutschen Großstädten rund 100 neue Messstellen aufgebaut werden."

Stand: 01.03.2024

Wie bewerten Sie diesen Artikel?

Kontakt

Bei Fragen kontaktieren Sie bitte unsere Pressestelle

Übersicht der Pressesprecherinnen des BfS

RSS-Feed

Weitere Meldungen des BfS automatisch per RSS erhalten

RSS-Feed-Icon

UV-Newsletter

Aktuelle UV-Prognosen per E-Mail erhalten

UV-Prognose

Seiteninformationen und -Funktionen