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Von Krebs bis Fortpflanzung: Wie die WHO mit systematischen Reviews das Risiko von Mobilfunk, WLAN & Co. bewertet

  • Die WHO will wegen neuer Forschungsergebnisse mögliche Gesundheitsrisiken von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern neu bewerten.
  • Sie nutzt dafür vor allem sogenannte systematische Reviews, also umfassende Übersichtsarbeiten zu einzelnen Gesundheitsaspekten.
  • Durch eine weltweite Umfrage unter Expert*innen wurden die wissenschaftlich relevantesten möglichen Gesundheitswirkungen identifiziert. Zu diesen hat die WHO systematische Reviews beauftragt.
  • Entsprechend etablierter Leitlinien durchgeführte systematische Reviews gelten als die qualitativ hochwertigsten Übersichtsarbeiten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lässt seit Jahrzehnten die möglichen Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern (EMF) auf die Gesundheit untersuchen. Diese Untersuchungen und ihre Ergebnisse werden in der Reihe Environmental Health Criteria Monographs (EHC) veröffentlicht. Eine solche Art der wissenschaftlichen Veröffentlichung heißt Monographie. In ihr wird eine bestimmte Fragestellung möglichst vollständig behandelt.

Die EHC-Monographien bieten eine ausführliche Risikobewertung zu chemischen, biologischen und physikalischen Einflüssen auf die Gesundheit. Wissenschaftler*innen werten dafür den gesamten Forschungsstand zu einem Thema aus. Ein Mittel für diese Auswertung sind systematische Reviews, also umfassende Übersichtsarbeiten.

Bisherige Veröffentlichungen und notwendige Aktualisierung von EHC-Monographien

Die WHO hat bereits drei EHC-Monographien zu elektrischen, magnetischen oder elektromagnetischen Feldern veröffentlicht: zu statischen Feldern, extrem niederfrequenten Feldern (ELF) und hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF).

Die letzte Monographie zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern erschien 1993. Hochfrequente elektromagnetische Felder umfassen den Frequenzbereich von 100 kHz bis 300 GHz. Sie sind allgegenwärtig und werden von Kommunikationstechnologien wie Radio, Fernsehen oder Mobiltelefonie verwendet.

Die EHC-Monographie zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern von 1993 soll aufgrund vieler neuer Forschungsergebnisse überarbeitet werden. Aufgrund der flächendeckenden Nutzung des Mobilfunks im Alltag und dem Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) hat eine aktualisierte Risikobewertung eine hohe Bedeutung.

Umfrage zu potenziellen Gesundheitswirkungen und Beauftragung der Übersichtsarbeiten

Im Rahmen der Aktualisierung befragte die WHO 2018 weltweit 300 Expert*innen aus Wissenschaft und Forschung. 164 Expert*innen aus 28 Ländern beteiligten sich. Es sollten die dringendsten, möglicherweise gesundheitsrelevanten Wirkungen zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern identifiziert werden. Basierend auf den Ergebnissen dieser Umfrage beauftragte die WHO systematische Reviews zu unterschiedlichen Gesundheitsaspekten. Die beteiligten Wissenschaftler*innen mussten eine hohe Qualifikation und Erfahrung in den entsprechenden Fachgebieten nachweisen.

Arten, Ziele und Nutzen von Übersichtsarbeiten

Die von der WHO in Auftrag gegebenen systematischen Reviews sollen eine hohe Qualität haben und folgen dafür bewährten und geprüften Methoden. Sie sind eine wesentliche Grundlage der neuen EHC-Monographie zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern. Eine detaillierte Darstellung der Vorgehensweisen und verwendeten wissenschaftlichen Methoden bei der Erstellung der systematischen Reviews finden Sie im dazugehörigen Spotlight on EMF des BfS. Die jeweiligen systematischen Reviews werden in "Spotlight on EMF Research" vorgestellt, vom BfS in den bestehenden Kenntnisstand eingeordnet und in ihrer Relevanz für den Strahlenschutz bewertet.

Systematische Reviews gelten als die qualitativ hochwertigsten Übersichtsarbeiten. Bei der WHO werden ausschließlich systematische Reviews durchgeführt. Sie sind im Vergleich zu Scoping Reviews und Narrativen Reviews, zwei ebenfalls etablierten Arten von Übersichtarbeiten, aussagekräftiger.

Systematisches ReviewEinklappen / Ausklappen

Oft besteht der Forschungsstand zu einem Thema aus Dutzenden, Hunderten oder gar Tausenden von wissenschaftlichen Studien. Systematische Reviews fassen die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zusammen. Sie dienen damit unter anderem als fundierte Entscheidungsgrundlage für die wissenschaftliche Bewertung möglicher gesundheitlicher Risiken.

Ebenso können sie quantitative Ergebnisse mittels einer Meta-Analyse liefern. Dabei bewerten sie, wie deutlich die Ergebnisse von Studien in der Gesamtschau für oder gegen eine bestimmte Annahme sprechen. Als weiteren wichtigen Aspekt umfassen systematische Reviews die Bewertung von möglichen Fehlerquellen und der Qualität und damit Aussagekraft der einzelnen für die Übersicht berücksichtigten Studien.

Äußerst wichtig für die Durchführung systematischer Reviews sind Regeln, die das Verfahren nachvollziehbar machen. Solche Regeln geben beispielsweise vor, wie die systematische Literaturrecherche durchgeführt wird oder wie die Ergebnisse der Studien bewertet werden. Auch werden transparent und nachvollziehbar die Ein- und Ausschlusskriterien für die Auswahl der Studien im Vorfeld dargelegt. Die von der WHO ausgewählten internationalen Expertenteams veröffentlichten diese Regeln in Form eines Studienprotokolls vorab für jedes einzelne systematische Review. Am Ende werden die Ergebnisse ebenfalls nach feststehenden Richtlinien publiziert.

Scoping ReviewEinklappen / Ausklappen

Im Gegensatz zu systematischen Reviews ist der Scoping Review weniger streng.

Scoping Reviews können unterschiedliche Ziele verfolgen. Sie können bspw. zeigen, welche Studien zu einem Thema existieren, welche Konzepte untersucht wurden oder wo es noch Wissenslücken gibt.

Ein Scoping Review kann auch die Schlüsselkonzepte (theoretische Annahmen, Methoden usw.) eines Forschungsbereichs abbilden, Arbeitsdefinitionen erstellen oder die Grenzen eines Themas abstecken. Die Qualität der einbezogenen Studien wird normalerweise nicht berücksichtigt.

Narratives ReviewEinklappen / Ausklappen

Ein narrativer Review fasst die vorhandenen Studien zu einem bestimmten Thema zusammen und interpretiert sie, wobei die Studien subjektiv ausgewählt und bewertet werden. Im Gegensatz zu systematischen Reviews fehlt in narrativen Reviews eine systematische Literaturrecherche und eine Berücksichtigung der Qualität der einbezogenen Studien. Die Methodik eines narrativen Reviews ist auch nicht so strukturiert wie die eines Scoping Reviews.

Da narrative Reviews deutlich subjektiver und weniger systematisch sind, ist ihre Aussagekraft begrenzter. Eine verzerrte Darstellung des Forschungsstands kann bei ihnen nicht ausgeschlossen werden und narrative Reviews bilden häufig nicht die gesamte Evidenz zu einem Thema ab.

Systematische Reviews im Auftrag der WHO zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern

Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der systematischen Reviews im Auftrag der WHO, die ab 2023 zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern publiziert worden sind. Am Ende der Zusammenfassungen wird stets auf das entsprechende „Spotlight on EMF“ verlinkt. Dort finden Sie eine ausführliche fachliche Stellungnahme der einzelnen Übersichtsarbeiten.

SR4 – Effekte einer Exposition gegenüber HF-EMF auf die Reproduktion (Tier- und Laborstudien)Einklappen / Ausklappen

Zielsetzung

Das systematische Review wurde unter dem Titel “Effects of Radiofrequency Electromagnetic Fields (RF-EMF) exposure on pregnancy and birth outcomes: A systematic review of experimental studies on non-human mammals” in der Fachzeitschrift Environment International am 30. August 2023 veröffentlicht.

Die Studie fasst den Forschungsstand darüber zusammen, ob hochfrequente elektromagnetische Felder die weibliche Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Nachkommen beeinträchtigen. Die eingeschlossenen Studien untersuchten Säugetiere in Tierexperimenten. Neben den Feldern im Mobilfunk wurden weitere hochfrequente elektromagnetische Felder betrachtet.

Ergebnisse

Es haben sich keine belastbaren Hinweise gefunden, dass die elektromagnetischen Felder des Mobilfunks die weibliche Fruchtbarkeit von Säugetieren beeinflussen oder sich negativ auf den zukünftigen Nachwuchs auswirken.

Den Autor*innen zufolge liefert die systematische Übersichtsarbeit keine hinreichende Evidenz für eine Beeinträchtigung der weiblichen Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Nachkommen. Möglicherweise wirken sich die Felder leicht auf das Gewicht der Föten aus. Dieses war etwas geringer. Ein Grund dafür könnte allerdings sein, dass die Versuchstiere in den Experimenten relativ starken elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren (Exposition). Die Exposition lag im Durchschnitt erheblich oberhalb der von Menschen im Alltag und erheblich oberhalb empfohlener Grenzwerte.

Es ist möglich, dass Mängel in den Studien für die Resultate verantwortlich waren. Die meisten aussagekräftigen Ergebnisse wiesen nämlich ein hohes Verzerrungsrisiko auf (in der Fachsprache auch Risk of Bias, kurz RoB genannt). Zu diesen systematischen Fehlern zählen bspw. Ungenauigkeiten beim Messen oder der Statistik. Zudem sind Ergebnisse aus Tierstudien nicht einfach auf den Menschen übertragbar.

Bewertung des BfS

Aufgrund der sehr unterschiedlichen Studienqualität ist aus Sicht des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) weitere Forschung erforderlich, die hohen Qualitätsstandards entspricht. Es braucht also nicht einfach mehr Studien, sondern vor allem bessere Studien.

Durch die systematische Übersichtsarbeit kann das BfS besser einschätzen, welcher konkrete Forschungsbedarf zu diesem Thema besteht.

Eine ausführliche Bewertung des systematischen Reviews finden Sie im Spotlight on EMF.

Beteiligung des BfS

Mitarbeiter*innen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) sind an mehreren der systematischen Reviews beteiligt. Das BfS koordiniert federführend die systematischen Reviews zu:

Stand: 14.02.2025

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