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Zeitzeugeninterview mit Frau Ursula Oestreicher

So jetzt muss ich das erst einstellen, Moment.

Es hat irgendwann angefangen zu regnen, das war aber nach dem 26. April, und dann ging die Panik so langsam auch in Deutschland los, gerade hier auch im Großraum München, weil keiner genau wusste, wie gefährlich das ist. Das ging von: "es ist überhaupt nicht gefährlich" zu "extrem gefährlich" und wir hier haben natürlich ein bisschen mehr Erfahrung, wir haben mehr Information bekommen, aber es war im Vergleich… es war eben ein eiserner Vorhang früher, also da war der Informationsfluss eben gleich null.

Das ist schwierig für jemand, der nicht mit Strahlung zu tun hat, ja, weil das eben nicht greifbar ist, das Ganze, dass das schwierig ist zu begreifen, ist völlig klar. Ich meine, wo ich Verständnis habe und auch gehabt habe, zu dem Zeitpunkt, war für Schwangere, für Familien mit Kindern, die natürlich zum Teil sehr verunsichert waren.

Zunächst war die Situation sehr unklar, also man wusste aus der Presse, dass in Schweden eine erhöhte Radioaktivität gemessen worden ist, aber es war nicht klar, wo die herkommt, es wurde dann auch in Deutschland eine erhöhte Radioaktivität gemessen, auch hier bei uns im Haus. Das war alles sehr… die Gerüchteküche hat rumort und keiner wusste genau, was da passiert ist. Später wurde das immer etwas klarer, dass da eben ein Unfall passiert war in Tschernobyl – beängstigend war das für mich nicht.

Es war… es ist erstmal schon sehr lange her, um das jetzt richtig einsortieren, also es war, dadurch, dass ich vielleicht vom Hintergrund schon ein bisschen 'ne Ahnung hatte über Strahlung, war klar, dass das nicht ganz ungefährlich sein kann, aber dass die Höhe der Strahlung doch wahrscheinlich nicht so hoch ist, dass für Deutschland ein Gesundheitsrisiko besteht. Ich habe meinen Freunden und Verwandten, die natürlich immer sehr interessiert waren, inwieweit die Informationen stimmen, die auch durch die Presse gehen, immer eigentlich die Information weitergegeben, die ich hier bekommen habe, dass man abwarten muss, dass man erstmal genauere Informationen sammeln muss, bevor eine Panik hier losgetreten wird.

Ich bin hier seit 1985 und war also gerade ungefähr ein dreiviertel Jahr hier beschäftigt, beim damaligen Bundesgesundheitsamt, als der Unfall in Tschernobyl passiert ist. Es war eine stressige Zeit, aus dem Grund, weil wir ja ungefähr nach einer Woche, nachdem der Unfall passiert war, hier Blutproben zugeschickt bekommen haben. Ein sehr emotionales Gefühl, weil wir auch nicht wussten, wie viele Blutproben im Endeffekt noch zu uns kommen. Und zwar haben wir Blutproben von Leuten aus Deutschland auch untersucht. Und zwar aus Süddeutschland aus dem Raum Berchtesgaden; das war das Gebiet in Deutschland, das am höchsten vom Fallout betroffen war. Die Strahlenexposition in Berchtesgaden war im Vergleich zu den anderen Gruppen, die wir untersucht haben aus Deutschland, nicht erhöht.

Also früher war das so, dass eben am Mikroskop direkt der Objektträger eingelegt worden ist, es wurden mäanderartig die Objektträger abgescannt, mit der Hand. Jede Zelle wurde registriert und sobald ein Schaden drin ist, hat man das eben im Mikroskop ausgewertet und wenn Schäden drinnen waren, hat man ein Foto gemacht; auf dem Mikroskop war ein Foto angebracht mit einem normalen Film. Das Ganze musste dann entwickelt werden und musste dann ausgewertet werden auf dem Foto.

Wir brauchen nur eine kleine Menge, 5 Milliliter Blut und in diesem Blut schaut man nach Chromosomenschäden. Und zwar an den weißen Blutkörperchen. Das ist sehr arbeitsintensiv und je mehr Blutproben man natürlich bekommt, umso mehr Arbeit ist das, das muss alles aufeinander abgestimmt sein und so viele Blutproben auf einmal bekommt man nicht jeden Tag und das war für mich natürlich auch der Einstieg in so einen großen Strahlenunfall.

Stand: 20.04.2016

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