Das National Toxicology Program (NTP) hat die Ergebnisse einer Langzeitstudie an Mäusen und Ratten zur Identifikation möglicher Gefahren einer hohen Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern veröffentlicht. Das BfS stellt die Ergebnisse vor und bewertet sie.
Das National Toxicology Program (NTP) hat die Ergebnisse einer Langzeitstudie an Mäusen und Ratten zur Identifikation möglicher Gefahren einer hohen Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern veröffentlicht. Das BfS stellt die Ergebnisse vor und bewertet sie.
Bei der sogenannten NTP-Studie handelt es sich um eine Langzeitstudie an Mäusen und Ratten des National Toxicology Program (NTP) zur Identifikation möglicher Gefahren einer hohen Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern. In der Studie wurde nach standardisierten toxikologischen Protokollen vorgegangen. Die NTP-Autoren ziehen den Schluss, dass eine expositionsbedingte klare Evidenz (höchste Evidenzstufe) für das Auftreten von Herztumoren und eine mäßige Evidenz für das Auftreten von Hirntumoren und Erkrankungen des Nebennierenmarks bei männlichen Ratten vorliegt.
Im Gegensatz dazu sieht das BfS nach sorgfältiger Analyse der vielfältigen Ergebnisse zwar Hinweise, aber keine klare oder mäßige Evidenz für eine karzinogene Wirkung bei hohen Ganzkörperexpositionen - deutlich oberhalb der Grenzwerte. Methodische Schwächen und Inkonsistenzen in den Studienergebnissen limitieren die Aussagekraft der Studie deutlich. Die karzinogene Wirkung war auf männliche Ratten beschränkt (fehlte bei weiblichen Ratten und bei beiden Geschlechtern der Mäuse). Die Inzidenzen der im Vergleich zu den beobachteten Krebserkrankungen zu erwartenden Krebsvorstufen lagen zu niedrig, um mit den gängigen Modellen der Tumorentstehung übereinzustimmen. Eine besondere Auffälligkeit der Studie war die hohe Sterblichkeit der Kontrolltiere im Vergleich zu den exponierten Tieren; dies erschwert den direkten Vergleich der im Alter auftretenden Tumore. Auch methodische Besonderheiten dieser toxikologischen Studie (keine Verblindung in der initialen pathologischen Begutachtung und keine Korrektur für multiples Testen) können zu verzerrten oder zufälligen Ergebnissen geführt haben. Hinzu kommt, dass die Körpertemperatur nicht gemessen wurde. Bei den hohen Ganzkörperexpositionen ist deshalb nicht auszuschließen, dass thermischer Stress – mit Körpertemperaturerhöhungen, die oberhalb der Grenzwerte auftreten und bekanntermaßen zu gesundheitlichen Effekten führen - zu den auffälligen Ergebnissen speziell bei männlichen Ratten geführt hat.
Bei den Tierexperimenten handelt es sich um Ganzkörperexpositionen, die ca. 20-fach und mehr über dem für die Allgemeinbevölkerung gültigen Grenzwert für Ganzkörperexpositionen liegen. Aus diesem Grunde sind sie nicht auf die im Lebensalltag des Menschen auftretenden Mobilfunkexpositionen übertragbar.
Das BfS geht deshalb weiterhin davon aus, dass bei Einhaltung der Grenzwerte keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen durch elektromagnetische Felder mit den vom Mobilfunk verwendeten Frequenzen zu erwarten sind.
Da – unabhängig von der NTP-Studie - verbleibende Unsicherheiten in der Bewertung möglicher Langzeitrisiken von intensiver Handynutzung bestehen, sind Vorsorgeempfehlungen ein probates Mittel, um mögliche, aber nicht nachgewiesene Risiken gering zu halten. Im Bereich des Mobilfunks konzentrieren sich die Vorsorgeempfehlungen des BfS auf die Endgeräte: Hersteller sollten ihre Produkte so konzipieren, dass Nutzer und Nutzerinnen möglichst niedrigen Feldstärken ausgesetzt werden. Nutzer und Nutzerinnen können durch die Auswahl von Geräten mit niedrigen angegebenen SAR-Werten und durch einfache Verhaltensmaßnahmen ihre persönliche Exposition gering halten. Das BfS gibt hierzu Vorsorgeempfehlungen.
Die NTP-Studie [1 und 2] wurde in drei Phasen durchgeführt. In der 1. und 2. Phase wurden die für eine Ganzkörperexposition geeigneten (maximalen) spezifischen Absorptionsraten (SAR) bestimmt, die bei den Labornagern (Harlan Sprague-Dawley Ratten und B63F1 Mäuse) nicht bereits nach kurzer Zeit zu einer erhöhten Sterblichkeit oder übermäßiger Erwärmung (über 1 °C) führen. Entsprechend den Ergebnissen aus der 1. und 2. Phase wurden die Ganzkörper-SAR-Werte für die chronische Befeldung der Labornager in der 3. Phase, der eigentlichen Hauptstudie, festgelegt. (Detaillierte Informationen zu den drei Studienphasen sind in Anhang 1: Studiendesign und Ergebnisse der ersten und zweiten Studienphase und Anhang 2: Studiendesign und Ergebnisse der NTP-Hauptstudie zu finden)
In der Hauptstudie wurden die einzeln gehaltenen, frei beweglichen Tiere (90 Tiere/Gruppe) Ganzkörper-exponiert (für 18 h 20 min pro Tag, 10 min Feld aus/10 min Feld ein) mit GSM- und CDMA-modulierten 900 MHz (Ratten) und 1900 MHz-Signalen (Mäuse) bei SAR-Werten von 1,5, 3 und 6 W/kg für Ratten und 2,5, 5 und 10 W/kg für Mäuse. Die über den gesamten Körper der Tiere gemittelte SAR wurde mittels numerischer Computersimulationsrechnungen bestimmt und über die Studiendauer möglichst konstant gehalten. Als Vergleichsgruppe wurde eine scheinexponierte Kontrollgruppe für beide Modulationen (GSM, CDMA) verwendet. Zu Studienende nach 2 Jahren wurden folgende Endpunkte untersucht: Körpergewicht und Überlebensrate der Tiere, hämatologische und klinisch-chemische Variablen, sowie neoplastische und nicht-neoplastische Veränderungen in Organen und Geweben.
Herz: Bei männlichen Ratten erhöhte sich die Inzidenz maligner Schwannome des Herzens mit zunehmender GSM-Exposition (0, 2, 1, 5 Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg) und CDMA-Exposition (0, 2, 3, 6* Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg). Dieser Expositions-Wirkungs-Trend war statistisch signifikant für beide Modulationen und für CDMA in der höchsten Expositionsgruppe (6 W/kg) im Vergleich zur Scheinexposition. Bei weiblichen Ratten wurde weder ein Trend noch eine signifikant erhöhte Inzidenz für einzelne Expositionsstufen gefunden (GSM: 0, 0, 2, 0 Fälle und CDMA: 0, 2, 0, 2 Fälle bei jeweils 0, 1,5, 3 und 6 W/kg). Die Inzidenz von Schwannomen in anderen Teilen des Körpers war unauffällig.
Signifikant (*) erhöhte Inzidenzen für rechtsventrikuläre Kardiomyopathien traten in der höchsten CDMA- und den beiden höchsten GSM-Expositionsstufen bei männlichen Ratten (GSM: 54, 62, 72*, 74* Fälle und CDMA: 54, 45, 62, 74* Fälle bei 0, 1.5, 3 und 6 W/kg) sowie bei bei weiblichen Ratten (GSM: 4, 9, 14*, 15* Fälle bei 0, 1.5, 3 und 6 W/kg) im Vergleich zu scheinexponierten Kontrollen auf.
Erhöhungen der Inzidenzen von Schwann-Zell-Hyperplasien (mögliche Krebsvorstufe der Schwannome im Herzen) bei männlichen (GSM: 0, 1, 0, 2 Fälle bzw. CDMA: 0, 0, 0, 3 Fälle bei 0, 1.5, 3 und 6 W/kg) und weiblichen Ratten (nur bei CDMA: 0, 1, 1, 1 Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg) wurden im Vergleich zu Kontrollen beobachtet, diese waren jedoch nicht signifikant.
Gehirn: Bei männlichen Ratten wurden erhöhte Inzidenzen maligner Gliome in allen exponierten Gruppen im Vergleich zur Kontrolle bei GSM-Modulation (0, 3, 3, 2 Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg) und ein signifikanter Trend mit zunehmender Exposition bei CDMA-Modulation (0, 0, 0, 3 Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg) gefunden. Bei weiblichen Ratten traten nur in wenigen Expositionsstufen Erhöhungen der Inzidenzen maligner Gliome (GSM: 0, 3, 0, 0 Fälle und CDMA: 0, 0, 0, 1 Fälle bei 0, 1,5, 3 und 6 W/kg) auf, die alle nicht signifikant waren.
Erhöhte Inzidenzen einer Hyperplasie der Gliazellen (mögliche Krebsvorstufe des malignen Glioms) traten in den meisten exponierten Gruppen beiderlei Geschlechts auf, diese waren jedoch nicht signifikant.
Eine detaillierte Auflistung weiterer Ergebnisse aus der Hauptstudie kann in Anhang 2: Studiendesign und Ergebnisse der NTP-Hauptstudie eingesehen werden.
[1] NTP TECHNICAL REPORT ON THE TOXICOLOGY AND CARCINOGENESIS STUDIES IN Hsd:SPRAGUE DAWLEY SD RATS EXPOSED TO WHOLE-BODY RADIO FREQUENCY RADIATION AT A FREQUENCY (900 MHz) AND MODULATIONS (GSM AND CDMA) USED BY CELL PHONES; NTP TR 595, November 2018
[2] NTP TECHNICAL REPORT ON THE TOXICOLOGY AND CARCINOGENESIS STUDIES IN B6C3F1/N MICE EXPOSED TO WHOLE-BODY RADIO FREQUENCY RADIATION AT A FREQUENCY (1,900 MHz) AND MODULATIONS (GSM AND CDMA) USED BY CELL PHONES; NTP TR 596, November 2018
Die abschließende Bewertung durch das 19 köpfige NTP-Team erfolgte nach einem 3-tägigen Peer Review Prozess einer Vorabveröffentlichung im März 2018, an dem sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Personen der Öffentlichkeit teilnahmen und über die Ergebnisse diskutierten.
NTP sieht nach ihren spezifischen toxikologischen Einstufungskriterien
Das BfS sieht in den umfangreichen Daten zwar Hinweise, aber keinen Nachweis dafür, dass die in männlichen Ratten aufgetretenen Herztumoren eine Folge der Ganzkörperexposition unter den toxikologischen Versuchsbedingungen (z.T. extrem) hoher und langandauernder Exposition sein können. Dies liegt an einer Reihe von methodischen Schwächen und Inkonsistenzen in den Studienergebnissen sowie Besonderheiten im toxikologischen Studiendesign, die im Folgenden dargelegt werden:
Ein signifikant erhöhtes Auftreten maligner Schwannome am Herzen wurde nur in männlichen Ratten gefunden. Dieses Ergebnis ist damit nicht konsistent zu den Ergebnissen bei weiblichen Ratten oder Mäusen innerhalb der NTP-Studie, aber zu einer weiteren Tierstudie, die kürzlich von Falcioni et al. [3] publiziert wurde. Jedoch werden Geschlechtsunterschiede bei der Tumorinzidenz häufig in Karzinogenitätsstudien des NTP beobachtet. Dabei treten, möglicherweise studienbedingt, zumeist vermehrt Tumoren in männlichen Ratten auf [4].
Die Anzahl an möglichen Krebsvorstufen sowohl in den exponierten als auch in den nicht exponierten Kontrolltieren war in fast allen Gruppen kleiner als die Tumorinzidenz. Aus den gängigen Modellen der Krebsentstehung wäre der umgekehrte Fall zu erwarten gewesen. Allerdings ist unklar, ob es sich bei den beobachteten Hyperplasien (Schwannzell- und Gliazellhyperplasie) tatsächlich um Krebsvorstufen der malignen Schwannome bzw. Gliome handelt, weshalb sie von den NTP-Autoren auch als „vermeintliche/mögliche“ Krebsvorstufen bezeichnet werden.
Bei den männlichen Ratten hatten die Kontrolltiere eine deutlich niedrigere Lebenserwartung als die exponierten Tiere (28 % Überlebensrate bei Kontrolltieren versus 50-68 % GSM und 48-62 % CDMA in den exponierten Gruppen). Die Kontrolltiere zeigten keine malignen Schwannome des Herzens oder maligne Gliome im Vergleich zu den exponierten Tieren. Dies liegt zwar im Bereich der Inzidenzen historischer Kontrollen (maligne Schwannome 0-2 %, maligne Gliome 0-4 % Inzidenz), trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Tiere starben bevor sie einen Tumor entwickelten. Dies kann zu einer Unterrepräsentation von spät auftretenden Schwannomen am Herzen bei Kontrolltieren geführt haben und damit zu einer Überschätzung des zugehörigen Risikos. Für die üblicherweise erst im hohen Tieralter auftretenden malignen Gliome könnte sich die geringe Lebenserwartung der Kontrolltiere noch stärker ausgewirkt haben. Die Unterschiede in den Überlebensraten wurden in der statistischen Auswertung durch entsprechende Korrekturen berücksichtigt. Ob die den Korrekturen zugrundeliegenden Annahmen auf die bisher wenig erforschten Schwannome des Herzens zutreffen, ist unklar.
Frei bewegliche Tiere zu exponieren und gleichzeitig eine aussagekräftige Dosimetrie sicherzustellen, ist eine große Herausforderung. Hervorzuheben ist daher, dass es den Forschern gelang, die spezifische Absorptionsrate der Ganzkörperexposition über die gesamte Studiendauer pro Expositionsgruppe (zeitlich gemittelt) vergleichsweise konstant auf einem festgelegten Wert zu halten. In toxikologischen Langzeitstudien ist es von großer Wichtigkeit, dass die Dosis (hier die SAR) konstant gehalten wird. Allerdings ist die spezifische Absorptionsrate allein nicht repräsentativ für die zu erwartende Temperaturerhöhung der Tiere, die bei zu starker Erhöhung (> 1 °C) zu nachgewiesenen Gesundheitseffekten führt.
Eine große Schwäche der Studie liegt darin, dass die Körpertemperatur in der Hauptstudie nicht erfasst worden ist. Auch wurden keine Parameter erhoben, um den Metabolismus der Tiere zu erfassen (Wasserkonsum, CO2-Produktion, etc.) und damit Hinweise auf erhöhte Körpertemperaturen zu erhalten. In der ersten Phase der Studie (siehe Anhang 1) wurden bei erwachsenen männlichen Ratten signifikante Körpertemperaturerhöhungen (bei einigen Messungen signifikant >1 °C) ab einem Ganzkörper-SAR-Wert von 6 W/kg festgestellt. Auch zeigte sich eine klare Korrelation zwischen Körpergewicht und Temperaturerhöhung. Dies ist dadurch erklärbar, dass große, schwere Tiere aufgrund ihrer im Verhältnis zur Körpermasse geringen Oberfläche eine geringere thermische Abstrahlleistung (Kühleffekt) aufweisen als kleine Tiere. Dies ist auch vereinbar mit den in Phase 2 gemessenen geringen Temperaturerhöhungen in jungen und damit leichteren männlichen Ratten. Aufgrund der fehlenden Temperaturmessung in der Hauptstudie kann nicht ausgeschlossen werden, dass es in männlichen (älteren und schwereren) Ratten zu einer übermäßigen Erwärmung von >1 °C kam. Dies sind Körpertemperaturerhöhungen, die oberhalb der Grenzwerte auftreten und bekanntermaßen zu gesundheitlichen Effekten führen. Aufgrund dessen ist es möglich, dass die beobachteten erhöhten Tumorinzidenzen in männlichen Ratten die Folge von thermischem Stress waren (eine ausführliche Diskussion zur Temperaturregelung und zu einer nicht geplanten aber möglicherweise übermäßigen Temperaturerhöhung in männlichen Ratten findet sich in Anhang 3: Thermischer Stress als mögliche Ursache für Befunde der NTP-Hauptstudie).
Statistische Tests wurden für eine Reihe von Endpunkten, getrennt für männliche und weibliche Tiere, GSM und CDMA, Zwischenergebnisse und 2-Jahresstudie sowie drei Expositionsgruppen, durchgeführt. Durch die Vielzahl von Tests sind signifikante Ergebnisse, die rein zufälliger Natur sind, zu erwarten. Für stetige Variablen (z.B. Körpergewicht) wurde durch die Forscher daher eine Korrektur für multiples Testen durchgeführt. Diskrete Variablen, wie beispielsweise Inzidenzen von Tumoren wurden jedoch gemäß standardisierten NTP-Protokollen nicht für multiples Testen korrigiert, sodass hierfür eine höhere Wahrscheinlichkeit für falsch positive Ergebnisse besteht. Im statistischen Sinne kann daher keines der signifikanten Ergebnisse einzeln als tatsächlich "signifikant", also überzufällig, gewertet werden.
Die histopathologischen Untersuchungen wurden in einem mehrstufigen Prozess von mehreren Pathologen durchgeführt. Die initiale Begutachtung der Gewebeschnitte zur Identifizierung möglicher Läsionen in Mäusen und Ratten verlief allerdings in unverblindeter Weise. Das heißt, den Pathologen in der initialen Begutachtung war zu jeder Zeit bewusst, ob der zu begutachtende Gewebeschnitt von einer exponierten oder von einer scheinexponierten Maus bzw. Ratte stammte. Dies ist in der wissenschaftlichen Forschung unüblich, entspricht aber den Empfehlungen der amerikanischen Gesellschaft für toxikologische Untersuchungen [5]. Eine fehlende Verblindung kann eine Verzerrung der Ergebnisse bewirken, da individuelle - auch unbewusste - Erwartungshaltungen der analysierenden Wissenschaftler Einfluss auf die Anzahl und Schwere der gefundenen Gewebeveränderungen in den jeweiligen Gruppen haben können.
Maligne Herztumore sind beim Menschen äußerst selten. Die Ergebnisse der NTP-Studie sind aber insofern von Relevanz, da die beim Menschen häufigeren gutartigen Akustikusneurinome (Tumore des Hörnervs) zu den Schwannomen gehören und in epidemiologischen Studien vereinzelt Hinweise für einen möglichen Zusammenhang von Akustikusneurinomen und Handynutzung gefunden wurden. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass bezogen auf die Gesamtheit der Schwannome aller untersuchten Organe sich auch in der NTP-Studie keine signifikant erhöhten Inzidenzraten zeigten. Eine histopathologische Untersuchung auf Akustikusneurinome wurde in der NTP-Studie allerdings nicht durchgeführt.
Bisherige Tierstudien, wie z.B. die im Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramm (DMF) durchgeführten Mehrgenerationsstudien, hatten zum Ziel, die bestehenden Grenzwerte zu überprüfen und wurden daher bei niedrigeren Strahlungsintensitäten durchgeführt. Eine karzinogene Wirkung von hochfrequenten Feldern mit Mobilfunk-relevanten Frequenzen und Modulationen wurde (bei Einhaltung bestehender Grenzwerte) in den DMF-Studien und einigen anderen Tierstudien mehrheitlich nicht gesehen [6] (Ausnahme: Falcioni et al. (2018)[3]).
Die Ergebnisse der NTP-Studie unterscheiden sich somit von bisherigen Studienergebnissen und werfen die Frage auf, ob möglicherweise thermischer Stress zu den beobachteten Befunden geführt hat. Dies zu klären sollte Gegenstand zukünftiger Forschung sein.
Die SAR-Verteilungen in den Geweben von Menschen und Versuchstieren weisen große Unterschiede auf: Erhebliche Differenzen bestehen bezüglich der Körpergrößen, der Organgrößen und der Organanordnungen, die sich jeweils auf die SAR-Verteilungen auswirken. Bei Mäusen und Ratten werden innere Organe stärker von außen einwirkenden hochfrequenten elektromagnetischen Feldern erreicht als beim Menschen.
Die in der Hauptstudie angewendeten Ganzkörper-SAR-Werte (≥1,5 W/kg) liegen deutlich (zumindest ca. 20fach) über dem für die Allgemeinbevölkerung zum Schutz vor nachgewiesenen Gesundheitswirkungen national und international empfohlenen Grenzwert für Ganzkörperexpositionen von 0,08 W/kg. Von diesem Wert leiten sich die in Deutschland geltenden Grenzwerte für ortsfeste Hochfrequenzanlagen ab, die in Alltagssituationen bei weitem nicht ausgeschöpft werden. So wurden zum Beispiel in Untersuchungen des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms (DMF) in der Umgebung von GSM- und UMTS-Basisstationen Ausschöpfungen des Grenzwertes für die elektrische Feldstärke von maximal bis zu etwa 10 % gefunden. Unter diesen Bedingungen kann abgeschätzt werden, dass die im menschlichen Körper hervorgerufenen Ganzkörper-SAR-Werte die Größenordnung von jeweils 0,001 W/kg nicht übersteigen und damit mindestens drei Größenordnungen (Faktor 1000) unter den Ganzkörper-SAR-Werten der exponierten Ratten in der NTP-Studie liegen.
Nur die niedrigste für Ratten verwendete Expositionsstufe (1,5 W/kg) liegt unterhalb des empfohlenen Grenzwertes für lokale Expositionen (für die Allgemeinbevölkerung liegt der empfohlene SAR-Grenzwert für lokale Expositionen von Kopf oder Rumpf bei 2 W/kg). Die von den Autoren auf Organebene durchgeführten dosimetrischen Analysen [7] zeigen allerdings, dass die Expositionen der in den histopathologischen Untersuchungen auffälligen Herzen der männlichen Ratten im Mittel um einen Faktor 1,9 höher waren als im Körperdurchschnitt, also in der am niedrigsten exponierten Gruppe bei 2,8 W/kg und damit bereits über dem empfohlenen Grenzwert für Kopf und Rumpf.
[3] Falcioni, L., et al., Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8GHz GSM base station environmental emission. Environ Res, 2018. 165: p. 496-503.
[4] Kadekar, S., et al., Gender differences in chemical carcinogenesis in National Toxicology Program 2-year bioassays. Toxicol Pathol, 2012. 40(8): p. 1160-8.
[5] Crissman, J.W., et al., Best practices guideline: toxicologic histopathology. Toxicologic Pathology, 2004. 32(1): p. 126-131.
[6] SCENIHR 2015. Potential health effects of exposure to electromagnetic fields (EMF). 27 January 2015.
[7] Gong, Y., et al., Life-Time Dosimetric Assessment for Mice and Rats Exposed in Reverberation Chambers for the Two-Year NTP Cancer Bioassay Study on Cell Phone Radiation. IEEE transactions on electromagnetic compatibility, 2017. 59(6): p. 1798-1808.
In der ersten Phase, einer Pilotstudie [1] die sich über fünf Tage erstreckte, wurde überprüft, welchen Einfluss verschiedene Ganzkörper-SAR auf die Körpertemperaturen von jungen und erwachsenen B63F1 Labormäusen und jungen, erwachsenen und schwangeren Harlan Sprague-Dawley Laborratten haben. Dazu wurden jeweils 5 Tiere einer Gruppe entweder mit GSM- oder CDMA-modulierten hochfrequenten elektromagnetischen Mobilfunkfeldern exponiert, die zu Ganzkörper-SAR von 0, 4, 6, 8, 10 und 12 W/kg führten. Die Befeldung wurde dabei alle 10 Minuten ein- und ausgeschaltet und die Temperatur in der expositionsfreien Zeit mithilfe von unter der Haut implantierten Temperatursensoren gemessen.
Es zeigte sich eine signifikante Erhöhung der Körpertemperatur in schwangeren Ratten sowie in erwachsenen männlichen und weiblichen Ratten im Alter von 5,5 (CDMA) oder 9 Monaten (GSM) ab einer SAR von 6 W/kg im Vergleich zu scheinexponierten Kontrolltieren. Bei 6 W/kg lag die Körpertemperaturerhöhung im Mittel bei unter einem Grad Celsius. Höhere SAR hatten höhere Körpertemperaturerhöhungen zur Folge, die bei einer SAR von 8 W/kg ein Grad Celsius überstiegen und bei einer SAR von 12 W/kg bei den erwachsenen männlichen Ratten innerhalb des ersten Tages zum Tode führten. Die kleineren und leichteren weiblichen Ratten zeigten einen geringeren mittleren Temperaturanstieg. Bei den noch kleineren und leichteren Mäusen zeigten sich dagegen nur sporadisch Erhöhungen der Körpertemperatur.
Aufgrund der Ergebnisse aus der Pilotstudie wurden junge Ratten und junge Mäuse in der zweiten Phase der Studie 28 Tage lang bei SAR von 0, 3, 6 und 9 W/kg (Ratten) und 0, 5, 10 und 15 W/kg (Mäuse) befeldet. Bei Mäusen und Ratten wurde jeweils für GSM- und UMTS-Modulation eine gemeinsame Kontrollpopulation (Scheinexposition, 0 W/kg) verwendet. Die 28-Tage-Studie diente der Bestimmung kumulativer Effekte durch sich wiederholende Expositionen mit GSM- und CDMA-modulierten hochfrequenten Feldern bei SAR-Werten, die in der Pilotstudie keine erhöhte Sterblichkeit oder übermäßig erhöhte Körpertemperaturen der Tiere zur Folge hatten, und zur Bestimmung der adäquaten SAR-Werte für die Zwei-Jahres-Hauptstudie. Um auch eine mögliche Toxizität der hochfrequenten Felder bei einer Exposition in utero sowie zu einem frühen postnatalen Zeitpunkt zu untersuchen, wurden bereits trächtige weibliche Ratten ab dem sechsten Trächtigkeitstag exponiert. Die Mäuse waren zu Beginn der Exposition zwischen 5-6 Wochen alt. Effekte einer in utero- oder einer frühen postnatalen Exposition wurden an Mäusen nicht untersucht. Körpergewichte und Körpertemperaturen der jungen Ratten und Mäuse wurden an verschiedenen Tagen während der Studie gemessen. Die Körpergewichte und -temperaturen wurden auch bei den trächtigen Ratten vor der Geburt sowie nach der Geburt während der Laktationsperiode gemessen.
Die Untersuchungen in der 28-Tage-Studie zeigten bei 6 und 9 W/kg eine erhöhte Sterblichkeit der jungen Ratten zwischen Tag 1 und 4 nach der Geburt, ein verringertes Körpergewicht der Muttertiere und der jungen männlichen und weiblichen Ratten sowie erhöhte Körpertemperaturen in den Muttertieren. Bei Mäusen zeigten sich keine Effekte auf Sterblichkeit und Körpergewicht. Zu einigen Zeitpunkten zeigten sich signifikante Körpertemperaturerhöhungen bei männlichen Mäusen und signifikante Körpertemperaturverringerungen bei weiblichen Mäusen bei 5, 10 und 15 W/kg.
Histopathologische Untersuchungen wurden am Ende der 28-Tage-Studie an den Kontrolltieren und an den höchstexponierten Tieren an allen relevanten Organen durchgeführt (ca. 40 Organe).
[1] Wyde, M.E., et al., Effect of cell phone radiofrequency radiation on body temperature in rodents: Pilot studies of the National Toxicology Program's reverberation chamber exposure system. Bioelectromagnetics, 2018. 39(3): p. 190-199.
Die Gruppengröße betrug zu Beginn der Hauptstudie jeweils 105 Tiere pro Expositionsstufe und Kontrollgruppe für jeweils beide Tierarten (Mäuse und Ratten), für GSM und CDMA-Modulation (Ausnahme: hier eine gemeinsame Kontrollgruppe) und für beide Geschlechter. Insgesamt wurden fast 1900 Ratten und 1500 Mäuse in der Studie eingesetzt. Bei den Ratten wurden die Muttertiere ab dem fünften Trächtigkeitstag exponiert, die Mäuse wurden ab einem Alter von 5-6 Wochen exponiert.
Die frei beweglichen Tiere wurden einzeln unter genau bekannten Laborbedingungen gehalten, die sich nur durch die Exposition unterschieden, die Kontrollgruppe wurde scheinexponiert. Begleiteffekte der Exposition (z.B. Geräusche) wurden identifiziert und im Versuch zwischen den Expositionsgruppen angeglichen, um eine gute Vergleichbarkeit zwischen befeldeten und nicht befeldeten Tieren sicherzustellen. Die intermittierende Ganzkörperexposition (10 Minuten an/10 Minuten aus) der Tiere betrug täglich insgesamt 18 h 20 min, was in einer Gesamtexpositionsdauer pro Tag von 9 h 10 min resultierte.
Vierzehn Wochen nach Beginn der Studie erfolgte eine Zwischenanalyse. Es wurden 10 weibliche und 10 männliche Ratten bzw. Mäuse pro Gruppe eingeschläfert, seziert und auf verschiedene Endpunkte (u.a. Gewicht der Organe, mikroskopische Begutachtung der Hauptgewebe, Spermienbeweglichkeit und –konzentration, Vaginalzytologie) untersucht. Von 5 männlichen und 5 weiblichen Ratten und Mäusen pro Gruppe wurden Blut- und Gewebeproben zur Untersuchung der Genotoxizität entnommen.
Damit verblieben 90 Tiere pro chronisch Langzeit-befeldeter Expositionsgruppe und Kontrollgruppe. Nach 2 Jahren (das entspricht ungefähr der durchschnittlichen Lebenserwartung von Ratten und Mäusen) wurden alle noch lebenden Tiere eingeschläfert. Alle Tiere, auch diejenigen, die im Laufe der Studie tot aufgefunden wurden oder wegen Erkrankungen eingeschläfert werden mussten, wurden seziert und untersucht.
Um zu prüfen, ob schein-exponierte und exponierte Tiere sich hinsichtlich möglicher Langzeiteffekte unterscheiden, wurden für oben genannte Endpunkte (Zwischenanalyse und Studien-Ende) zwei Arten von statistischen Tests (getrennt für Mäuse und Ratten, männliche und weibliche Tiere und GSM und CDMA-Modulation) durchgeführt. Im ersten Test wurde jeweils eine der drei Expositionsgruppen mit der Kontrollgruppe verglichen (paarweiser Vergleich), im zweiten Test wurde geprüft, ob ein Trend mit zunehmender Expositionsintensität vorliegt. Als Signifikanzniveau für die statistischen Tests wurde 0,05 (Pathologie) gewählt.
Gewicht und Gewichtszunahme und Überleben
Neoplastische und nicht-neoplastische Läsionen sind für Herz, Gehirn und Nebenniere bereits in der Stellungnahme aufgeführt, werden hier aber vollständigkeitshalber nochmal angegeben:
Herz: Erhöhte Inzidenzen maligner Schwannome in allen GSM- (0/2/1/5) und CDMA (0/2/3/6*) exponierten Gruppen männlicher Ratten. Beide Modulationen zeigen einen signifikant positiven Trend. In weiblichen Ratten erhöhte Inzidenzen nur in der 3 W/kg GSM- (GSM 0/0/2/0) und den 1,5 und 6 W/kg CDMA-exponierten Gruppen (0/2/0/2). Erhöhte Inzidenzen von Schwann-Zell-Hyperplasie (mögliche präneoplastische Schwannzellläsion) bei männlichen (GSM 0/1/0/2, bzw. CDMA 0/0/0/3) und weiblichen Ratten (nur bei CDMA 0/1/1/1).
Erhöhte Inzidenzen für rechtsventrikuläre Kardiomyopathien in allen Gruppen männlicher (GSM 54/62/72*/74*, CDMA 54/45/62/74*) und weiblicher Ratten (GSM 4/9/14*/15*, CDMA 4/7/9/9).
Gewicht und Gewichtszunahme und Überleben
Neoplastische und nicht-neoplastische Läsionen
Positiv ist die außerordentliche Transparenz des NTP hervorzuheben. So ist eine Vielzahl von Daten (z.B. Inzidenztabellen) auf den Servern des NTP frei verfügbar um u.a. die Validität der statistischen Auswertung überprüfbar zu machen. Auch die Gewebeschnitte können in den Archiven des NTP eingesehen werden.
Bei der Interaktion von biologischem Gewebe und hochfrequenten elektromagnetischen Feldern kommt es zu gut untersuchten und bekannten Wirkungen, die auf einem Energieeintrag ins Gewebe in Form von Wärmeenergie beruhen (thermischer Wirkmechanismus). Die Frage, die von vielen Studien in den letzten Jahrzehnten verfolgt wurde, war, ob es darüber hinaus möglicherweise auch Wirkungen gibt, die auf einen nicht-thermischen Wirkmechanismus zurückzuführen sind.
Nicht-thermische Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder würden auch auftreten, wenn der Wärmeeintrag bei der Befeldung nicht stattgefunden hätte. Hier müsste ein direktes Eingreifen des Felds (z.B. über eine Kraftwirkung oder direkte Beeinflussung molekularer Reaktionen) in die biologischen Prozesse stattfinden, damit es zu einer Wirkung kommt. Nicht-thermische Wirkmechanismen sind bisher nur aus Laborexperimenten mit extrem hohen Feldstärken (deutlich oberhalb bestehender Grenzwerte) bekannt, z.B. Elektroporation, Dielektrophorese. Nichtthermische Wirkungen bei niedrigen Feldstärken sind bisher nicht nachgewiesen.
In der Hauptstudie wurden die Auswirkungen einer chronischen Ganzkörperexposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern des 2G- und 3G-Mobilfunkstandards untersucht, wobei die Autoren aufgrund der Pilotstudien davon ausgingen, dass die Temperaturerhöhungen bei den Mäusen und Ratten unter 1 °C blieben. Effekte, die bei Körpertemperaturerhöhungen von unter 1 °C auftreten, werden von den Autoren in der Einleitung der Berichte als nichtthermische Effekte bezeichnet [1]. Aus Sicht des BfS sind Effekte auch unter 1°C als (minimal) thermische Wirkungen zu bezeichnen, wenn sie sich ursächlich auf die geringfügige Temperaturerhöhung zurückführen lassen, zumal es keine andere Erklärung gibt - ein nicht-thermischer Wirkmechanismus wurde bislang wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Die Körpertemperatur des Menschen schwankt, ähnlich wie bei den meisten Säugetieren, über den Tag um ca. 0,5-1 °C [2, 3]. Temperaturerhöhungen bis zu etwa 1 °C werden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand als gesundheitlich nicht relevant bewertet. Die international empfohlenen Grenzwerte für hochfrequente elektromagnetische Felder sind daher so ausgelegt, dass die Körperkerntemperaturerhöhung des Menschen bei Dauerexposition unter 1 °C bleibt.
Eine große Schwäche der NTP-Hauptstudie liegt in der fehlenden Temperaturmessung während der chronischen Exposition. Die Ganzkörperabsorption von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern kann zu einer Körpertemperaturerhöhung der Versuchstiere führen. Bei den in der Studie untersuchten hohen Expositionen müssen die Körpertemperaturerhöhungen genau bestimmt werden, um thermischen Stress als mögliche Ursache für die Befunde diskutieren und bewerten zu können. In der Pilotstudie (Studienphase 1) wurde ab einem Ganzkörper-SAR-Wert von 6 W/kg eine signifikante Temperaturerhöhung bei erwachsenen Ratten festgestellt. Das durchschnittlich höhere Körpergewicht der männlichen Ratten (0,5 kg) war dabei mit einer größeren mittleren Körpertemperaturerhöhung (0,6 °C) verbunden als das durchschnittlich geringere Körpergewicht (0.3 kg) der weiblichen Tiere (0,45 °C). Bei leichteren Tieren, z.B. jungen Ratten (ca. 0,15 kg) war eine signifikante Temperaturerhöhung erst bei höheren SAR-Werten von 8-10 W/kg beobachtbar und bei den noch leichteren erwachsenen Mäusen (ca. 50 g) erst ab 10-12 W/kg. Die leichtesten Tiere (weibliche junge Mäuse, ca. 20 g) zeigten selbst bei maximaler Anlagenleistung (SAR=15 W/kg) keine signifikante Temperaturerhöhung. Die Gewichtsabhängigkeit der Temperaturerhöhung bei konstanter SAR ist mit dem gewichtsabhängigen Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis der Tiere erklärbar. Bei schweren und damit großen Tieren ist die oberflächenabhängige thermische Abstrahlleistung (Kühleffekt) erst bei höheren Temperaturen im Gleichgewicht mit der absorbierten Leistung (Erwärmung) als bei leichten Tieren. Um ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten haben Mäuse daher auch eine deutlich höhere Metabolismusrate als Ratten (Mäuse ca. 30 W/kg, Ratten ca. 2-8 W/kg) [3]. Die schweren erwachsenen männlichen Ratten hatten die höchste Temperaturerhöhung bei gegebenem SAR. Die in der Pilotstudie (Studienphase 1) erhaltenen Messdaten bei einer SAR von 6 W/kg zeigen außerdem, dass die Temperaturerhöhung bei einigen der insgesamt 10 Messungen signifikant über 1 °C lag. Die Temperaturmessung ist nur nach der Befeldung durchgeführt worden und die Tiere konnten in dem (in Phase 1 unbestimmten) Zeitraum zwischen Befeldung und Temperaturmessung abkühlen. Die in Phase 2 ermittelten geringen Temperaturerhöhungen männlicher Ratten kurz nach Befeldung bei einer SAR von 6 W/kg wurden ausschließlich an Jungtieren (leichter als 230 g) erhalten und sind daher nicht aussagekräftig für die zu erwartenden Temperaturerhöhungen in der Hauptstudie. Zudem wurden auch in Phase 2 die Temperaturen an den noch jungen Tieren nicht unmittelbar, sondern erst zwischen 2 und 5 Minuten nach Ende der Befeldung gemessen, was zu einer Unterschätzung der Körpertemperatur während der Befeldung führt. Die gemessenen Werte stellen daher nur eine untere Grenze für den Schätzwert der Körpertemperaturerhöhung dar.
Unstrittig ist somit, dass es bei den Laborratten infolge der Ganzkörperexpositionen mit SAR von bis zu 6 W/kg in der Hauptstudie zu Temperaturerhöhungen gekommen sein muss. Durch die fehlende Körpertemperaturmessung der befeldeten Tiere in der Hauptstudie lässt es sich jedoch nicht klären, ob die Temperaturerhöhung – wie von den Autoren vorgesehen – unter 1 °C lag oder darüber.
Aus den genannten Gründen erscheint dem BfS die Körpertemperaturerhöhung (thermische Wirkung) als Ursache für die in der NTP-Studie beobachteten Effekte plausibel. Ein anderer möglicher Mechanismus, der die Effekte erklären könnte, ist derzeit nicht bekannt.
Eine chronische Ganzkörpererwärmung, wie sie in den Ratten beobachtet wurde, ist bei Menschen bei der Verwendung von Mobiltelefonen nicht zu erwarten, selbst wenn die Teilkörper-Grenzwerte voll ausgeschöpft werden. Dies liegt zum einen an der Nutzung des Mobiltelefons, welche nur lokal am Kopf oder am Körper erfolgt. Dabei ist bei einer lokalen Exposition die mittlere Temperaturerhöhung deutlich kleiner als bei einer Ganzkörperexposition, da der nichtexponierte Teil des Körpers als Kühlreservoir wirkt, bzw. Wärme durch die Blutzirkulation abtransportiert wird. Zum anderen ist beim Menschen erst bei Ganzkörper-SAR-Werten von 4-6 W/kg eine Kerntemperaturerhöhung von 1 °C zu erwarten. Die basale Metabolismus-Rate des Menschen (in Ruhe) liegt bei ungefähr 1 W/kg und damit ebenfalls deutlich über dem Grenzwert für den zusätzlichen Wärmeeintrag durch hochfrequente elektromagnetische Felder (Ganzkörper-SAR von 0.08 W/kg). Zudem bestehen erhebliche Unterschiede in den Temperaturregulationsmechanismen zwischen Ratten, Mäusen und dem Menschen. Während der Mensch über die Haut Wärme abführen kann, dient bei Nagetieren v.a. der nackte Schwanz der Thermoregulation. Obwohl sich die Körpertemperatur von Menschen und anderen Säugetieren in der Regel in einem ähnlichen Bereich bewegt, ist die Abgabe überschüssiger Wärme infolge der fehlenden Behaarung und der Fähigkeit zu schwitzen bei Menschen effektiver als bei Tieren.
Die Angabe auf der NTP-Website a) und im Fact-sheet, dass eine hohe Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern, wie sie von Mobiltelefonen ausgehen, mit Tumor-Evidenzen bei männlichen Ratten assoziiert ist, stellt damit aus Sicht des BfS eine unvollständige und missverständliche Interpretation dar. Hier kann fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass die Exposition durch ein Mobiltelefon zu diesen Wirkungen geführt hat, beziehungsweise dass eine Gesundheitsgefährdung durch hohe Exposition mit den hochfrequenten elektromagnetischen Feldern von Mobiltelefonen nachgewiesen worden ist. Dies ist aber aus den oben genannten Gründen nicht der Fall. Eine lebenslange Exposition der Ratten ist in keiner Weise vergleichbar mit der Mobiltelefonnutzung von Menschen. Selbst bei eintretenden lokalen Temperaturerhöhungen bei mobilem Telefonieren sind die Temperaturerhöhungen beim Menschen gering und kurzfristig und können durch Thermoregulation leicht ausgeglichen werden.
Die aktuellen Richtlinien zum Schutz des Menschen vor den Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder gehen davon aus, dass die Einhaltung einer Körperkern-Temperaturerhöhung von maximal einem Grad Celsius, die im Bereich typischer Temperaturfluktuationen liegt, als akzeptables Schutzziel angesehen werden kann. Die Ergebnisse der NTP-Studie werfen die Frage auf, ob dies auch für chronische Temperaturerhöhungen knapp unterhalb von einem Grad Celsius Bestand haben kann. Diese Frage kann nur durch weitere Forschung geklärt werden, die eine kontinuierliche Temperaturmessung der befeldeten Tiere beinhaltet.
Für die Allgemeinbevölkerung liegt der Grenzwert einer Ganzkörper SAR von 0,08 W/kg etwa 50-fach unterhalb des Wertes, der zu einer Temperaturerhöhung von 1 °C führt. Dieser Grenzwert wird in der Realität bei weitem nicht ausgeschöpft. Für die beruflich exponierte Bevölkerung ist ein höherer Grenzwert zulässig, der jedoch immer noch 10-fach,unterhalb des Wertes liegt, der zu einer Körpertemperaturerhöhung von etwa einem Grad führt.
a) "The NTP studies found that high exposure to RFR used by cell phones was associated with…" Quelle: Cell Phone Radio Frequency Radiation auf der Website des National Toxicology Program, abgerufen am 20.12.2018 13:00
[1] National Toxicology Program (NTP) (2018). Technical report on the toxicology and carcinogenesis studies in Hsd:Sprague Dawley SD rats exposed to whole-body radio frequency radiation at a frequency (900 MHz) and modulations (GSM and CDMA) used by cell phones. NTP 595
[2] Krauchi, K., The human sleep-wake cycle reconsidered from a thermoregulatory point of view. Physiol Behav, 2007. 90(2-3): p. 236-45.
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