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Langzeitstudie an Mäusen und Ratten zu Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern (NTP-Studie)

Anhang 3: Thermischer Stress als mögliche Ursache für Befunde der NTP-Hauptstudie

Bei der Interaktion von biologischem Gewebe und hochfrequenten elektromagnetischen Feldern kommt es zu gut untersuchten und bekannten Wirkungen, die auf einem Energieeintrag ins Gewebe in Form von Wärmeenergie beruhen (thermischer Wirkmechanismus). Die Frage, die von vielen Studien in den letzten Jahrzehnten verfolgt wurde, war, ob es darüber hinaus möglicherweise auch Wirkungen gibt, die auf einen nicht-thermischen Wirkmechanismus zurückzuführen sind.

Nicht-thermische Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder würden auch auftreten, wenn der Wärmeeintrag bei der Befeldung nicht stattgefunden hätte. Hier müsste ein direktes Eingreifen des Felds (z.B. über eine Kraftwirkung oder direkte Beeinflussung molekularer Reaktionen) in die biologischen Prozesse stattfinden, damit es zu einer Wirkung kommt. Nicht-thermische Wirkmechanismen sind bisher nur aus Laborexperimenten mit extrem hohen Feldstärken (deutlich oberhalb bestehender Grenzwerte) bekannt, z.B. Elektroporation, Dielektrophorese. Nichtthermische Wirkungen bei niedrigen Feldstärken sind bisher nicht nachgewiesen.

Die Beobachtungen in der NTP-Studie im Kontext thermischer und nicht-thermischer Wirkungen

In der Hauptstudie wurden die Auswirkungen einer chronischen Ganzkörperexposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern des 2G- und 3G-Mobilfunkstandards untersucht, wobei die Autoren aufgrund der Pilotstudien davon ausgingen, dass die Temperaturerhöhungen bei den Mäusen und Ratten unter 1 °C blieben. Effekte, die bei Körpertemperaturerhöhungen von unter 1 °C auftreten, werden von den Autoren in der Einleitung der Berichte als nichtthermische Effekte bezeichnet [1]. Aus Sicht des BfS sind Effekte auch unter 1°C als (minimal) thermische Wirkungen zu bezeichnen, wenn sie sich ursächlich auf die geringfügige Temperaturerhöhung zurückführen lassen, zumal es keine andere Erklärung gibt - ein nicht-thermischer Wirkmechanismus wurde bislang wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Die Körpertemperatur des Menschen schwankt, ähnlich wie bei den meisten Säugetieren, über den Tag um ca. 0,5-1 °C [2, 3]. Temperaturerhöhungen bis zu etwa 1 °C werden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand als gesundheitlich nicht relevant bewertet. Die international empfohlenen Grenzwerte für hochfrequente elektromagnetische Felder sind daher so ausgelegt, dass die Körperkerntemperaturerhöhung des Menschen bei Dauerexposition unter 1 °C bleibt.

Eine große Schwäche der NTP-Hauptstudie liegt in der fehlenden Temperaturmessung während der chronischen Exposition. Die Ganzkörperabsorption von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern kann zu einer Körpertemperaturerhöhung der Versuchstiere führen. Bei den in der Studie untersuchten hohen Expositionen müssen die Körpertemperaturerhöhungen genau bestimmt werden, um thermischen Stress als mögliche Ursache für die Befunde diskutieren und bewerten zu können. In der Pilotstudie (Studienphase 1) wurde ab einem Ganzkörper-SAR-Wert von 6 W/kg eine signifikante Temperaturerhöhung bei erwachsenen Ratten festgestellt. Das durchschnittlich höhere Körpergewicht der männlichen Ratten (0,5 kg) war dabei mit einer größeren mittleren Körpertemperaturerhöhung (0,6 °C) verbunden als das durchschnittlich geringere Körpergewicht (0.3 kg) der weiblichen Tiere (0,45 °C). Bei leichteren Tieren, z.B. jungen Ratten (ca. 0,15 kg) war eine signifikante Temperaturerhöhung erst bei höheren SAR-Werten von 8-10 W/kg beobachtbar und bei den noch leichteren erwachsenen Mäusen (ca. 50 g) erst ab 10-12 W/kg. Die leichtesten Tiere (weibliche junge Mäuse, ca. 20 g) zeigten selbst bei maximaler Anlagenleistung (SAR=15 W/kg) keine signifikante Temperaturerhöhung. Die Gewichtsabhängigkeit der Temperaturerhöhung bei konstanter SAR ist mit dem gewichtsabhängigen Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis der Tiere erklärbar. Bei schweren und damit großen Tieren ist die oberflächenabhängige thermische Abstrahlleistung (Kühleffekt) erst bei höheren Temperaturen im Gleichgewicht mit der absorbierten Leistung (Erwärmung) als bei leichten Tieren. Um ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten haben Mäuse daher auch eine deutlich höhere Metabolismusrate als Ratten (Mäuse ca. 30 W/kg, Ratten ca. 2-8 W/kg) [3]. Die schweren erwachsenen männlichen Ratten hatten die höchste Temperaturerhöhung bei gegebenem SAR. Die in der Pilotstudie (Studienphase 1) erhaltenen Messdaten bei einer SAR von 6 W/kg zeigen außerdem, dass die Temperaturerhöhung bei einigen der insgesamt 10 Messungen signifikant über 1 °C lag. Die Temperaturmessung ist nur nach der Befeldung durchgeführt worden und die Tiere konnten in dem (in Phase 1 unbestimmten) Zeitraum zwischen Befeldung und Temperaturmessung abkühlen. Die in Phase 2 ermittelten geringen Temperaturerhöhungen männlicher Ratten kurz nach Befeldung bei einer SAR von 6 W/kg wurden ausschließlich an Jungtieren (leichter als 230 g) erhalten und sind daher nicht aussagekräftig für die zu erwartenden Temperaturerhöhungen in der Hauptstudie. Zudem wurden auch in Phase 2 die Temperaturen an den noch jungen Tieren nicht unmittelbar, sondern erst zwischen 2 und 5 Minuten nach Ende der Befeldung gemessen, was zu einer Unterschätzung der Körpertemperatur während der Befeldung führt. Die gemessenen Werte stellen daher nur eine untere Grenze für den Schätzwert der Körpertemperaturerhöhung dar.

Unstrittig ist somit, dass es bei den Laborratten infolge der Ganzkörperexpositionen mit SAR von bis zu 6 W/kg in der Hauptstudie zu Temperaturerhöhungen gekommen sein muss. Durch die fehlende Körpertemperaturmessung der befeldeten Tiere in der Hauptstudie lässt es sich jedoch nicht klären, ob die Temperaturerhöhung – wie von den Autoren vorgesehen – unter 1 °C lag oder darüber.

Für einen Zusammenhang der klinischen Befunde mit einer Temperaturerhöhung sprechen folgende Anhaltspunkte:

  • Bei den histopathologischen Untersuchungen wurden die mit Abstand größten Effekte in männlichen Ratten gefunden, die die größten und schwersten Tiere der Studie darstellen, gefolgt von den kleineren und leichteren weiblichen Ratten. Die kleinsten Effekte wurden bei den im Vergleich zu Ratten generell kleineren und leichteren Mäusen festgestellt. Dies korreliert mit der oben diskutierten Temperaturerhöhung bei gegebenem SAR-Wert. Es erscheint plausibel, dass bei chronischem thermischem Stress der Kreislauf und damit das Herz besonders belastet wird und sich daher dort Gewebsveränderungen in Form von Kardiomyopathien und Hyperplasien zeigen. In der Folge chronisch entzündlicher Prozesse sind dann auch maligne Veränderungen wie die bei männlichen Ratten beobachteten malignen Schwannome des Herzens denkbar.
  • In der Hauptstudie (Phase 3) lag das mittlere Gewicht der (wachsenden) männlichen Ratten (und damit korrelierend die zu erwartende Temperaturerhöhung) während 96% der Versuchsdauer über dem Maximalgewicht der Ratten in Studienphase 2 und während 72 % der Versuchsdauer über dem Maximalgewicht der Ratten in der Pilotstudie (Phase 1). Die Daten zeigen zudem, dass das Gewicht der Ratten fast über das gesamte Leben gestiegen ist. Zu dem Zeitpunkt, an dem das erste Schwannom am Herzen oder das erste Gliom im Gehirn einer männlichen Ratte entdeckt worden ist, lag das mittlere Körpergewicht der Ratten mindestens 30 % über dem in der Pilotstudie angegebenen Maximalwert. Der Gewichtsmaximalwert der Pilotstudie wurde dabei mindestens an 330 Tagen überschritten. In dieser Zeit ist von einem erheblichen Hitzestress der befeldeten männlichen Ratten in der hohen Expositionsgruppe auszugehen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit über der in Phase 1 ermittelten Temperaturerhöhung von 0,6 °C (und möglicherweise sogar über den teilweise beobachteten Temperaturerhöhungen von über 1 °C) lag. Der Wärmeeintrag bei einer SAR von 6 W/kg übersteigt dabei die natürliche Metabolismusrate einer alten Ratte deutlich (ca. 2 W/kg), da die Metabolismusrate im hohen Alter abnimmt. Zusätzlich ist bekannt, dass die Leistungsfähigkeit der Thermoregulation (z.B. über die Vasodilation des Schwanzes) nach Hitzestress mit zunehmendem Alter der Ratten abnimmt [4]. Eine dauerhafte Veränderung des Metabolismus der befeldeten Ratten ist aus diesen Gründen wahrscheinlich. Endpunkte, die zum Nachweis eines geänderten Metabolismus nötig sind (Nahrungsaufnahme, Wasserverbrauch, CO2 Produktion), sind in dieser Studie nicht erfasst worden. Die beobachtete geringere Schwere der chronischen Nephropathie etlicher befeldeter männlicher Ratten, die vermutlich der Grund für deren höhere Überlebenswahrscheinlichkeit war, weist zumindest auf einen geringeren Stoffwechselumsatz in den exponierten Tieren hin [5].
  • Die Befeldung der Tiere (und damit der Wärmeeintrag) wurde alle 10 Minuten an- und ausgeschaltet. Dabei musste die Thermoregulation der Tiere ein Leben lang die Körpertemperatur und die Metabolismusrate nachregeln. Dies kann je nach Leistungsfähigkeit der Thermoregulation zu einer kurzfristigen Überregulation führen [6]. Auswirkungen einer chronisch stark aktiven Thermoregulation sind bisher noch nicht detailliert untersucht worden.
  • Auch die signifikant erhöhte Überlebensrate bei exponierten männlichen Ratten spricht aus Sicht des BfS für einen Einfluss der erhöhten Körpertemperatur und der damit verbundenen Metabolismusänderungen.

Körpertemperaturerhöhung (thermische Wirkung) als Ursache für die beobachteten Effekte

Aus den genannten Gründen erscheint dem BfS die Körpertemperaturerhöhung (thermische Wirkung) als Ursache für die in der NTP-Studie beobachteten Effekte plausibel. Ein anderer möglicher Mechanismus, der die Effekte erklären könnte, ist derzeit nicht bekannt.

Eine chronische Ganzkörpererwärmung, wie sie in den Ratten beobachtet wurde, ist bei Menschen bei der Verwendung von Mobiltelefonen nicht zu erwarten, selbst wenn die Teilkörper-Grenzwerte voll ausgeschöpft werden. Dies liegt zum einen an der Nutzung des Mobiltelefons, welche nur lokal am Kopf oder am Körper erfolgt. Dabei ist bei einer lokalen Exposition die mittlere Temperaturerhöhung deutlich kleiner als bei einer Ganzkörperexposition, da der nichtexponierte Teil des Körpers als Kühlreservoir wirkt, bzw. Wärme durch die Blutzirkulation abtransportiert wird. Zum anderen ist beim Menschen erst bei Ganzkörper-SAR-Werten von 4-6 W/kg eine Kerntemperaturerhöhung von 1 °C zu erwarten. Die basale Metabolismus-Rate des Menschen (in Ruhe) liegt bei ungefähr 1 W/kg und damit ebenfalls deutlich über dem Grenzwert für den zusätzlichen Wärmeeintrag durch hochfrequente elektromagnetische Felder (Ganzkörper-SAR von 0.08 W/kg). Zudem bestehen erhebliche Unterschiede in den Temperaturregulationsmechanismen zwischen Ratten, Mäusen und dem Menschen. Während der Mensch über die Haut Wärme abführen kann, dient bei Nagetieren v.a. der nackte Schwanz der Thermoregulation. Obwohl sich die Körpertemperatur von Menschen und anderen Säugetieren in der Regel in einem ähnlichen Bereich bewegt, ist die Abgabe überschüssiger Wärme infolge der fehlenden Behaarung und der Fähigkeit zu schwitzen bei Menschen effektiver als bei Tieren.

Die Angabe auf der NTP-Website a) und im Fact-sheet, dass eine hohe Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern, wie sie von Mobiltelefonen ausgehen, mit Tumor-Evidenzen bei männlichen Ratten assoziiert ist, stellt damit aus Sicht des BfS eine unvollständige und missverständliche Interpretation dar. Hier kann fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass die Exposition durch ein Mobiltelefon zu diesen Wirkungen geführt hat, beziehungsweise dass eine Gesundheitsgefährdung durch hohe Exposition mit den hochfrequenten elektromagnetischen Feldern von Mobiltelefonen nachgewiesen worden ist. Dies ist aber aus den oben genannten Gründen nicht der Fall. Eine lebenslange Exposition der Ratten ist in keiner Weise vergleichbar mit der Mobiltelefonnutzung von Menschen. Selbst bei eintretenden lokalen Temperaturerhöhungen bei mobilem Telefonieren sind die Temperaturerhöhungen beim Menschen gering und kurzfristig und können durch Thermoregulation leicht ausgeglichen werden.

Die aktuellen Richtlinien zum Schutz des Menschen vor den Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder gehen davon aus, dass die Einhaltung einer Körperkern-Temperaturerhöhung von maximal einem Grad Celsius, die im Bereich typischer Temperaturfluktuationen liegt, als akzeptables Schutzziel angesehen werden kann. Die Ergebnisse der NTP-Studie werfen die Frage auf, ob dies auch für chronische Temperaturerhöhungen knapp unterhalb von einem Grad Celsius Bestand haben kann. Diese Frage kann nur durch weitere Forschung geklärt werden, die eine kontinuierliche Temperaturmessung der befeldeten Tiere beinhaltet.

Für die Allgemeinbevölkerung liegt der Grenzwert einer Ganzkörper SAR von 0,08 W/kg etwa 50-fach unterhalb des Wertes, der zu einer Temperaturerhöhung von 1 °C führt. Dieser Grenzwert wird in der Realität bei weitem nicht ausgeschöpft. Für die beruflich exponierte Bevölkerung ist ein höherer Grenzwert zulässig, der jedoch immer noch 10-fach,unterhalb des Wertes liegt, der zu einer Körpertemperaturerhöhung von etwa einem Grad führt.

a) "The NTP studies found that high exposure to RFR used by cell phones was associated with…" Quelle: Cell Phone Radio Frequency Radiation auf der Website des National Toxicology Program, abgerufen am 20.12.2018 13:00

Literatur

[1] National Toxicology Program (NTP) (2018). Technical report on the toxicology and carcinogenesis studies in Hsd:Sprague Dawley SD rats exposed to whole-body radio frequency radiation at a frequency (900 MHz) and modulations (GSM and CDMA) used by cell phones. NTP 595

[2] Krauchi, K., The human sleep-wake cycle reconsidered from a thermoregulatory point of view. Physiol Behav, 2007. 90(2-3): p. 236-45.

[3] Gordon, C., Thermal physiology of laboratory mice: defining thermoneutrality. Journal of thermal biology, 2012. 37(8): p. 654-685.

[4] Cox, B., T.-f. Lee, and J. Parkes, Decreased ability to cope with heat and cold linked to a dysfunction in a central dopaminergic pathway in elderly rats. Life Sciences, 1981. 28(18): p. 2039-2044.

[5] Hard, G.C. and K.N. Khan, A contemporary overview of chronic progressive nephropathy in the laboratory rat, and its significance for human risk assessment. Toxicol Pathol, 2004. 32(2): p. 171-80.

[6] Ebert, S., et al., Response, thermal regulatory threshold and thermal breakdown threshold of restrained RF-exposed mice at 905 MHz. Physics in Medicine and Biology, 2005. 50(21): p. 5203-5215.

Stand: 14.04.2021

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