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Nutzung von Mobiltelefonen und Verlauf der Gliom-Inzidenz von 1979 bis 2016

Fachliche Stellungnahme zu einer im Auftrag von BfS/ Bundesumweltministerium durchgeführten Studie

  • Ziel des Vorhabens war es, die zeitliche Entwicklung der Neuerkrankungshäufigkeit für Gliome, eine bestimmte Art von Hirntumoren (deren Entstehung gelegentlich in einen Zusammenhang mit Mobiltelefonnutzung gebracht wird), der Entwicklung der Mobiltelefonnutzung in den Jahren 1979 bis 2016 gegenüber zu stellen. Zudem sollte geprüft werden, ob die Annahme erhöhter Gliom-Risiken durch Mobiltelefonnutzung mit dem Verlauf der Häufigkeit tatsächlich aufgetretener Gliom-Neuerkrankungen vereinbar ist.
  • Für Gliom-Neuerkrankungsfälle aus den Krebsregistern von Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden – in diesen Ländern haben Gesundheitsversorgung, Krebsdiagnostik und Krebsregistrierung eine besonders hohe Qualität – zeigte sich, dass die Anzahl an Personen, die im jüngeren und mittleren Alter (20 bis 39 Jahre bzw. 40 bis 59 Jahre) an einem Gliom erkrankten, zwischen 1979 und 2016 relativ konstant blieb. In den Altersgruppen 60 bis 69 Jahre und 70 bis 84 Jahre stiegen hingegen die jährlichen Gliom-Erkrankungsraten im Untersuchungszeitraum kontinuierlich an.
  • Dies eröffnet die Frage, ob der Anstieg der Gliom-Erkrankungsraten der über 60-Jährigen möglicherweise mit der Mobiltelefonnutzung in Zusammenhang steht. Folgende Gründe sprechen jedoch dagegen: Zum einen gab es keinen erheblichen Anstieg der Gliom-Erkrankungsraten zwischen Mitte der 1990er Jahre, als die Häufigkeit der Mobilfunknutzung stark anstieg, und 2016. Zum anderen ist der Anstieg bei beiden Geschlechtern ähnlich, obwohl es bei der Mobiltelefonnutzung in den Anfangsjahren deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab. Zudem ist es plausibel, dass der Anstieg an Gliom-Neuerkrankungsfällen einer verbesserten Diagnose und Erfassung geschuldet ist.
  • In zusätzlichen Modellierungen und Simulationen wurden verschiedene Szenarien mit erhöhten Gliom-Risiken durch Mobilfunknutzung hypothetisch angenommen und mit den tatsächlichen Gliom-Neuerkrankungsfällen verglichen. Hierfür mussten in der Studie jedoch einige Annahmen getroffen werden, welche die Aussagekraft der Modellierungen einschränken. Daher sind diese Simulationsergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren.
  • Fazit: Die zeitliche Entwicklung der Gliom-Erkrankungsraten spricht insgesamt nicht für eine Erhöhung des Gliom-Risikos durch die Nutzung von Mobiltelefonen. Der Anstieg der Gliom-Neuerkrankungsfälle der über 60-Jährigen ist eher auf verbesserte Diagnostik und eine bessere Registrierung der Fälle zurückzuführen. Das BfS empfiehlt den Zusammenhang von Gliom-Risiko und Mobilfunknutzung weiter zu untersuchen; dies sollte durch Studien mit individuellen Daten zu Exposition und Krankheit wie z. B. Kohortenstudien erfolgen.

Hintergrund

Epidemiologische Studien zu gesundheitlichen Folgen von Mobilfunknutzung zeigten mehrheitlich keinen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und dem Risiko, an einem Gliom, dem häufigsten Hirntumortyp, zu erkranken. Einige wenige ältere Fall-Kontroll-Studien berichten jedoch erhöhte Gliom-Risiken bei Mobiltelefonnutzung.

Isabelle Deltour und Joachim Schüz von der Internationalen Agentur für Krebsforschung führten im Auftrag des BfS/ Bundesumweltministerium das Forschungsvorhaben Nutzung von Mobiltelefonen und Verlauf der Gliom-Inzidenz seit 1979 durch. Dem Vorhaben liegt folgende Überlegung zugrunde: Die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern durch Mobilfunk hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Während vor 1990 kaum jemand ein Mobiltelefon besaß, nutzen heute fast alle eines. Falls die Nutzung von Mobiltelefonen tatsächlich das Erkrankungsrisiko für Gliome erhöht, müsste diese verbreitete Nutzung zu einem Anstieg der Anzahl der Gliom-Neuerkrankungsfälle geführt haben. Das Vorhaben aktualisiert die Analysen aus Deltour et al. (2012), in denen der Zeitraum 1979 bis 2008 betrachtet wurde, und die aus Mitteln des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms finanziert wurden.

Studiendesign und MethodenEinklappen / Ausklappen

Die vorliegende Studie untersuchte zum einen, ob zeitliche Trends in den Erkrankungsraten für Gliome Hinweise auf mögliche Risiken durch Nutzung von Mobiltelefonen liefern, und zum anderen prüfte sie die Vereinbarkeit der beobachteten Anzahlen von Erkrankungsfällen mit verschiedenen Risikoszenarien, die auf der Annahme beruhen, die Nutzung von Mobiltelefonen würde das Risiko für Gliome erhöhen.

Dazu wurden Erkrankungshäufigkeiten aus den Krebsregistern von Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden genutzt. Diese Daten wurden für die Studie gewählt, da in diesen Ländern Gesundheitsversorgung, Krebsdiagnostik und Krebsregistrierung eine besonders hohe Qualität haben.

A) Beschreibung der Entwicklung der Gliom-Erkrankungsraten über die Zeit

In einer deskriptiven Auswertung beschrieben Deltour und Schüz die Entwicklung der altersstandardisierten Gliom-Erkrankungsrate zwischen 1979 und 2016 und untersuchten anhand von Modellen (Joinpoint-Analyse mit log-linearen Modellen), ob es Zeitpunkte gibt, an denen sich die Gliom-Erkrankungsraten ändern. Sie werteten die Erkrankungsraten getrennt nach Geschlecht, Alter bei Diagnose und Art des Glioms (Glioblastom, andere hoch-gradige Gliome, niedrig-gradige Gliome) aus.

B) Prüfung der Vereinbarkeit verschiedener Risikoszenarien mit den Häufigkeiten beobachteter Erkrankungsfälle

Zur Prüfung der Plausibilität verschiedener Risikoszenarien führten Deltour und Schüz drei verschiedene Arten von Analysen durch. Sie benötigten hierfür neben den vorliegenden Daten zur Erkrankung auch "Daten" zur Mobilfunknutzung. Da hierzu keine Angaben für die Bevölkerung in den vier betrachteten Ländern über den Beobachtungszeitraum verfügbar sind, wurden die Bevölkerungsanteile von Mobilfunknutzern und Untergruppen wie z. B. Intensivnutzern über die entsprechenden Anteile aus drei verschiedenen Studien geschätzt ("Nordic Interphone", "COSMOS-Dänemark" und "COSMOS-Frankreich").

D.h., im Unterschied zu anderen Studiendesigns, wie z. B. Fall-Kontroll-Studien, war bei der vorliegenden Studie weder für die einzelnen Gliom-Fälle noch für die nicht an einem Gliom erkrankten Personen (Kontrollen) bekannt, ob sie ein Mobiltelefon nutzten oder nicht. Bekannt war lediglich die Gesamtanzahl an Fällen in jedem Kalenderjahr und die Anzahl von Personen in den betrachteten Altersgruppen in jedem Kalenderjahr. Auf Basis der Anzahl der Personen in einer Altersgruppe und den Verteilungen zur Mobiltelefonnutzung aus den oben genannten Studien wurden für jede Altersgruppe die Anteile exponierter und nicht exponierter Personen für jedes Jahr geschätzt.

Da für diese Auswertungen nicht individuelle Daten benutzt wurden, handelt es sich um einen sogenannten "ökologischen Ansatz". Die untersuchten Risikoszenarien sind charakterisiert durch die gewählte Expositionsverteilung aus anderen Studien (Interphone Nordic, COSMOS-Dänemark oder COSMOS-Frankreich), durch die Nutzergruppe (alle Nutzer vs. Intensivnutzer verschiedener Intensität) und durch den angenommenen Induktionszeitraum. Dieser bezeichnet den Zeitraum zwischen erster Mobiltelefonnutzung und Erkrankungsbeginn (0, 5, 10, 15 oder 20 Jahre).

Deltour und Schüz verwendeten für diese Analysen nur die Daten von Männern, da diese in der Anfangszeit des Mobilfunks in den 1990er Jahren Mobiltelefone deutlich häufiger benutzt haben als Frauen.

B 1) Abschätzung des Gliom-Risikos durch Mobiltelefon-Nutzung

Bei dieser Auswertung schätzten Deltour und Schüz für die verschiedenen hypothetischen Risikoszenarien das Verhältnis zwischen dem Erkrankungsrisiko von Nutzern von Mobiltelefonen und dem Erkrankungsrisiko von Personen, die Mobiltelefone nicht nutzten, also das relative Risiko. Sie benutzten dazu ein Modell, das die Annahme enthält, dass jegliche Änderung der Erkrankungsrate zwischen 1979 und 2016 ausschließlich auf die Nutzung von Mobiltelefonen zurückzuführen sei.

Diese Auswertung wurde für zwei Altersgruppen durchgeführt: Erkrankungsalter 40-59 Jahre bzw. 60-69 Jahre. Die Altersgruppe 40-59 Jahre wurde gewählt, weil diese relativ gut zu der Studienpopulation der Interphone-Studie passt, in die Personen eingeschlossen wurden, deren Erkrankung im Alter zwischen 30 und 59 Jahren diagnostiziert wurde. Die zweite Altersgruppe, 60 bis 69 Jahre, wurde gewählt, da es sich bei Männern in diesem Alter mutmaßlich um die Personengruppe handelt, die als erste verstärkt mobil telefoniert hat.

B 2) Poweranalyse

In einer Simulationsstudie untersuchten Deltour und Schüz, wie wahrscheinlich es ist, dass signifikant erhöhte Gliom-Risiken bei Gültigkeit der verschiedenen hypothetischen Risikoszenarien in der Studie erkannt werden können. Hierfür ist zum Beispiel die Höhe des angenommenen Risikos oder die Anzahl der Personen in der betrachteten Personengruppe relevant. Es wurde ebenfalls das statistische Modell verwendet, das die Annahme enthält, dass jegliche Änderung der Erkrankungsrate zwischen 1979 und 2016 ausschließlich auf die Nutzung von Mobiltelefonen zurückzuführen sei. Diese Analysen wurden nur für Männer im Alter von 40 bis 59 Jahren durchgeführt, da bei diesen der längste Zeitraum zwischen Exposition und Tumorentstehung modelliert werden kann.

B 3) Analyse standardisierter Inzidenzraten (SIR-Analyse)

Mit einer weiteren Simulationsstudie prüften Deltour und Schüz die Vereinbarkeit verschiedener Risikoszenarien mit den beobachteten Fallzahlen. Dabei verglichen sie die beobachtete Anzahl an Fällen mit der Anzahl an Fällen, die man erwarten würde, wenn ein bestimmtes Risikoszenario gültig wäre. Diese Auswertung konnte ohne die Annahme durchgeführt werden, dass jegliche Änderung der Erkrankungsrate auf die Nutzung von Mobiltelefonen zurückzuführen sei. Stattdessen wurde in diesen Analysen angenommen, dass 50 % bzw. 75 % der Änderung der Erkrankungsrate auf andere, nicht näher bekannte Faktoren zurückgehen würde. Solche Faktoren könnten zum Beispiel der Fortschritt in der medizinischen Diagnostik sein oder Verbesserungen in der Registrierung von Krebserkrankungen.

Diese Analysen wurden für die Altersgruppen 40-59 Jahre und 60-69 Jahre durchgeführt.

ErgebnisseEinklappen / Ausklappen

A) Beschreibung der Entwicklung der Gliom-Erkrankungsraten über die Zeit

Insgesamt wurden über den gesamten Zeitraum 1979 bis 2016 in den vier betrachteten Ländern Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden bei den Männern 28.015 und bei den Frauen 20.630 Gliom-Neuerkrankungen registriert.

  • Bei den Personen im jüngeren und mittleren Alter (Altersgruppen 20-39 Jahre und 40-59 Jahre), blieb die Gliom-Erkrankungsrate zwischen 1979 und 2016 sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern relativ konstant.
  • Bei den 60-69-Jährigen stieg die Rate zwischen 1979 und 2016 statistisch signifikant an: bei den Männern um 0,6 % pro Jahr (95 %-Konfidenzintervall: 0,4 % bis 0,9 %) und bei den Frauen um 0,4 % (0,2 % bis 0,7 %).
  • Bei den 70-84-Jährigen änderte sich der Verlauf mehrmals über die Zeit. So stieg die Erkrankungsrate bei den Männern in dieser Altersgruppe von 1979 bis 1984 pro Jahr um 7,3 % (-0,4 % bis 15,6 %) an, von 1984 bis 1990 ging die Rate pro Jahr um -4,5 % (-11,0 % bis 1,9 %) zurück und stieg von 1990 bis 2016 pro Jahr um 3,1 % (2,6 % bis 3,5 %) an. Bei den Frauen gab es einen schwachen Anstieg zwischen 1979 und 1994 von 0,2 % (-1,0% bis 3,0 %) pro Jahr und einen statistisch signifikanten Anstieg von 2,8 % (2,3 % bis 3,0 %) zwischen 1994 und 2016.
  • Für die verschiedenen Arten von Gliomen unterschied sich der Verlauf der Erkrankungsraten zwischen 1990 und 2016: Während die Erkrankungsraten von Glioblastomen anstiegen, sanken die Erkrankungsraten von anderen hochgradigen Gliomen und die von niedrig-gradigen Gliomen blieben etwa stabil.

B 1) Abschätzung des Gliom-Risikos durch Mobiltelefon-Nutzung

Bei Betrachtung aller Nutzer und der Altersgruppe 40-59 Jahre ergaben sich relative Risiken zwischen 1,05 (Expositionsverteilung aus der Nordic Interphone-Studie, Induktionszeitraum 15 Jahre) und 1,11 (Expositionsverteilung aus Cosmos-Frankreich, Induktionszeitraum 20 Jahre). Die Risiken für Intensivnutzer lagen höher und reichten bis 1,75 (Expositionsverteilung von Cosmos-Dänemark, Nutzungsdauer vor 2003 > 1640 Stunden). Für die Altersgruppe 60 bis 69 Jahre lagen die Risiken zwischen 1,21 (Expositionsverteilung aus der Nordic Interphone-Studie, Induktionszeitraum 0 Jahre) und 1,54 (Expositionsverteilung aus Cosmos-Frankreich, Induktionszeitraum 20 Jahre). Auch für diese Altersgruppe lagen die Risikoschätzwerte für Intensivnutzer höher und reichten bis zu 6,89 (Expositionsverteilung aus der Nordic Interphone-Studie, Nutzungsdauer vor 2003 > 1640 Stunden).

Ein für beide Altersgruppen vergleichbar hohes relatives Risiko ergab sich nur für eine Induktionsperiode von 20 Jahren bei Verwendung der Expositionsverteilung von Cosmos-Frankreich. Dieses Risiko betrug 1,3.

B 2) Poweranalyse

Die Poweranalyse zeigte, dass eine derartige gepoolte Analyse mit Daten aus vier Nationen eine ausreichende Größe und somit genug statistische Power hat, um auch gering erhöhte Risiken aufzuzeigen.

B 3) Analyse standardisierter Inzidenzraten (SIR-Analyse)

Die SIR-Analyse ergab, dass bei der Altersgruppe der 40 bis 59-jährigen Männer Risikoszenarien mit hypothetischen relativen Risiken bis zu 1,5 mit den beobachteten Fallzahlen vereinbar sind. Für die Altersgruppe der 60 bis 69-jährigen Männer sind Risikoszenarien mit höheren relativen Risiken mit den beobachten Fallzahlen vereinbar. Für beide Altersgruppen galt, dass bei Szenarien mit kürzeren Induktionsperioden niedrige relative Risiken mit den Daten kompatibel waren, während höhere relative Risiken eher bei sehr langen Induktionsperioden mit den Daten kompatibel waren.

Bei den Szenarien, bei denen angenommen wurde, dass 50 % der Änderung der Erkrankungsrate auf andere unbekannte Faktoren zurückgehen würde, war keines der Risikoszenarien mit den Daten beider Altersgruppen vereinbar. Bei den Szenarien, bei denen angenommen wurde, dass 75 % der Änderung der Erkrankungsrate auf andere unbekannte Faktoren zurückgehen würde, waren drei Szenarien mit den Daten von beiden Altersgruppen vereinbar: Bei Annahmen der Expositionsverteilung von Nordic Interphone ein relatives Risiko von 1,08 bei einer Induktionsperiode von 10 Jahren und ein relatives Risiko von 1,3 bei einer Induktionsperiode von 20 Jahren und bei Annahme einer Expositionsverteilung von Cosmos-Dänemark ebenfalls ein relatives Risiko von 1,08 bei einer Induktionsperiode von 10 Jahren.

Für Intensivnutzer ist keines der Risikoszenarien für beide Altersgruppen mit den Daten vereinbar.

Bewertung der Ergebnisse durch Deltour und SchüzEinklappen / Ausklappen

Deltour und Schüz ziehen insgesamt den Schluss, dass ihre Ergebnisse nicht für einen nachweisbaren Effekt der Nutzung von Mobiltelefonen auf das Gliom-Risiko sprechen. Ein zentraler Grund dafür ist, dass der Verlauf der Inzidenzraten über die letzten 20 Jahre keine entsprechenden "Bruchstellen" aufweist. Die beobachteten Anstiege in den Altersgruppen 60-69 Jahre und 70-84 Jahre sind ihrer Meinung nach nicht durch Mobiltelefonnutzung erklärbar. Plausiblere Ursachen für die beobachteten Anstiege sehen sie in Verbesserungen in Diagnostik und bei der Registrierung von Gliomen in einigen der betrachteten Länder in den letzten 20 Jahren, die sich möglicherweise besonders auf die Inzidenzraten bei älteren Personen auswirken.

Ein weiterer Grund für ihre Schlussfolgerung ist, dass sich in ihren Simulationen nahezu alle Ergebnisse aus Fall-Kontroll-Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und Gliom-Risiko beobachtet haben, als unplausibel erwiesen haben. Dabei bewerten Deltour und Schüz Risikoszenarien, die nicht mit Daten aus beiden Altersgruppen vereinbar sind, als unplausibel, da es bisher aus Studien keine Hinweise darauf gibt, dass ein mögliches Gliom-Risiko durch Mobiltelefonnutzung vom Alter abhängen könnte.

Sehr geringe Risikoerhöhungen und eine Erhöhung des Risikos nach sehr langen Latenzzeiten von mehreren Dekaden sind nach Einschätzung von Deltour und Schüz vereinbar mit den vorliegenden Daten. Sie sehen Einschränkungen der Studie aufgrund von Unsicherheiten bezüglich der Exposition und begrenztem Wissen bezüglich den erforderlichen Modellannahmen (wie z.B. die tatsächliche Latenzzeit).

Bewertung der Ergebnisse durch das BfSEinklappen / Ausklappen

Die in der Studie beschriebene zeitliche Entwicklung der Gliom-Erkrankungsraten spricht insgesamt nicht für eine Erhöhung des Gliom-Risikos durch die Nutzung von Mobiltelefonen. Würde die Mobiltelefonnutzung das Gliom-Risiko erhöhen, wäre ab den 1990er Jahren ein deutlicher Anstieg der Häufigkeit von Gliom-Erkrankungen zu erwarten gewesen, da ab dieser Zeit die Mobiltelefonnutzung stark anstieg. Im Zeitraum 1990 bis 2016 konnte jedoch kein Zeitpunkt festgestellt werden, an dem sich die Anstiege merklich geändert hätten. Zudem war der Anstieg bei Männern und Frauen relativ ähnlich, obwohl es insbesondere in den Anfangsjahren des Mobilfunks Unterschiede in der Nutzungshäufigkeit zwischen den Geschlechtern gab. Beobachtete Anstiege bei älteren Personen liegen vermutlich daran, dass Gliom-Erkrankungen zunehmend besser erkannt und in den Krebsregistern immer vollständiger erfasst worden sind.

Die Ergebnisse der Modellierungen und Simulationen zeigen, dass verschiedene Szenarien mit erhöhten Risiken mit den beobachteten Daten vereinbar wären. Allerdings liegen diesen Simulationen einige kritisch zu betrachtenden Annahmen zugrunde, welche die Aussagekraft einschränken. So basieren zum Beispiel die Daten zur Mobilfunknutzung mangels aktuelleren Nutzungszahlen auf Hochrechnungen aus den Jahren 2002 und 2009. Es ist aber von einer deutlich geänderten Mobilfunknutzung auszugehen, die bei weiteren Betrachtungen und zukünftigen Studien herangezogen werden sollte.

Insgesamt liefern die Ergebnisse der vorliegenden Studie keine belastbare Evidenz für einen Anstieg der Inzidenzraten, der mit der Verbreitung der Nutzung von Mobiltelefonen in Zusammenhang stehen könnte. Eine mögliche Risikoerhöhung insbesondere bei langen Latenzzeiten oder für bestimmte Untergruppen kann mit der vorliegenden Studie jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Zur Klärung der Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und dem Risiko, an einem Gliom zu erkranken, kann die Studie aufgrund ihres Designs nur sehr eingeschränkt beitragen. Dies liegt in der Natur des "ökologischen" Studiendesigns, da individuelle Daten sowohl zur Erkrankung als auch zur Mobiltelefonnutzung fehlen. Insbesondere können zeitliche Änderungen, die auf andere Faktoren wie Diagnosegenauigkeit oder Vollständigkeit der Datenerfassung zurückgehen, nicht adäquat berücksichtigt werden und so gegebenenfalls zu "Scheinkorrelationen" führen. Vor allem Kohortenstudien sind hier deutlich aussagekräftiger, aber auch wesentlich aufwendiger.

Fazit und Einordnung der Ergebnisse in den aktuellen Kenntnisstand

Es gibt bisher – bei umfangreicher Datenlage – keine wissenschaftlich gesicherten Belege für negative Gesundheitseffekte durch Mobilfunk bei Einhaltung der bestehenden Grenzwerte. Tierexperimente zu Krebserkrankungen und Mobilfunk unterhalb der bestehenden Grenzwerte geben keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise auf einen Zusammenhang. Zudem ist kein Wirkmechanismus von Mobilfunkfeldern bekannt, der an einer Krebsentstehung beteiligt sein könnte. Hinsichtlich des Risikos, an einem Gliom zu erkranken, legen die meisten epidemiologischen Studien nahe, dass es keinen Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und Gliom-Risiko gibt. Auch in der vorliegenden Studie von Deltour und Schüz wurde kein auffälliger Anstieg der Inzidenzraten, der mit der Verbreitung der Nutzung von Mobiltelefonen in Zusammenhang stehen könnte, festgestellt. Das BfS bleibt deshalb bei seiner Einschätzung, dass nach bisherigem Kenntnisstand bei Einhaltung der Grenzwerte keine gesundheitsschädigenden Effekte durch Mobilfunk wissenschaftlich belegt sind. Das BfS stellt eine Zusammenfassung der wissenschaftlichen Bewertung der Studienlage zur Verfügung.

Auf Basis vergleichsweise kurzer Mobiltelefonnutzungsdauer bleiben Unsicherheiten zum Hirntumorrisiko bei Vielnutzern und zum Krebsrisiko nach einer Nutzungsdauer von mehr als 15 Jahren weiter bestehen. Das BfS wird deshalb die Forschung zu möglichen Risiken durch Mobiltelefonnutzung weiter vorantreiben und laufende Kohortenstudien zu Handynutzung beobachten und bewerten.

LiteraturEinklappen / Ausklappen

Deltour I, Auvinen A, Feychting M, Johansen C, Klaeboe L, Sankila R, Schüz J. Mobile phone use and incidence of glioma in the Nordic countries 1979-2008: consistency check. Epidemiology. 2012 Mar;23(2):301-7. doi: 10.1097/EDE.0b013e3182448295. PMID: 22249239.

Stand: 04.07.2022

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