Navigation und Service

Langzeitstudie an Ratten zu Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern (Ramazzini-Studie)

  • Bei der Ramazzini-Studie handelt es sich, gemessen an der Tierzahl, um die größte jemals durchgeführte Tierstudie zur Frage, ob lebenslange Exposition gegenüber schwacher Mobilfunkstrahlung von Mobilfunkbasisstationen bei Ratten krebserregend wirkt.
  • Die Ganzkörperexposition der Ratten lag unterhalb und im Bereich der in Deutschland gültigen Grenzwerte für ortsfeste Mobilfunkbasisstationen.
  • Aus BfS-Sicht liefern die publizierten Ergebnisse von Falcioni et al. keine überzeugende Evidenz für eine karzinogene Wirkung einer Ganzkörperexposition durch Mobilfunkstrahlung im Bereich und unterhalb der bestehenden Grenzwerte.
  • Da – unabhängig von der Ramazzini- und der NTP-Studie - verbleibende Unsicherheiten in der Bewertung möglicher Langzeitrisiken von intensiver Handynutzung bestehen, sind Vorsorgeempfehlungen ein probates Mittel, um mögliche, aber nicht nachgewiesene Risiken gering zu halten.

Im August 2018 wurden im Journal Environmental Research Teilergebnisse einer Langzeitstudie an Ratten, die lebenslang mit schwachen hochfrequenten elektromagnetischen Feldern exponiert worden waren, veröffentlicht1. Die am italienischen Ramazzini Institut durchgeführte Studie ist bisher noch nicht beendet. Die Vorveröffentlichung von Teilergebnissen durch Falcioni et al. stand im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden von vorläufigen Ergebnissen der Studie des US-amerikanischen National Toxicology Programs (NTP) im Mai 2016, bei der ein erhöhtes Auftreten von Herztumoren in männlichen Ratten, die sehr hohen Ganzkörperexpositionen hochfrequenter elektromagnetischer Felder ausgesetzt waren, beobachtet worden ist. Die finalen Ergebnisse der NTP-Studie wurden 2018 veröffentlicht, die Diskussion zur sogenannten Ramazzini-Studie wird hier daher mit Bezug auf die Ergebnisse der NTP-Studie2 geführt.

Bei der Ramazzini-Studie handelt es sich, gemessen an der Tierzahl, um die größte jemals durchgeführte Tierstudie zur Frage, ob lebenslange Exposition gegenüber schwacher Mobilfunkstrahlung von Mobilfunkbasisstationen bei Ratten krebserregend wirkt. Die Ganzkörperexposition der Ratten lag unterhalb und im Bereich der in Deutschland gültigen Grenzwerte für ortsfeste Mobilfunkbasisstationen. Ein wesentliches Ergebnis ist eine statistisch signifikant erhöhte Inzidenz von Schwann-Zell-Tumoren am Herzen bei männlichen exponierten Ratten im Vergleich zu nicht exponierten Kontrolltieren. Die Autoren der Ramazzini-Studie sehen in ihren Ergebnissen eine Bestätigung der Ergebnisse der NTP-Studie und eine Übereinstimmung mit anderen epidemiologischen Studien und fordern deshalb eine Neubewertung der IARC-Einstufung bezüglich des krebserregenden Potentials hochfrequenter elektromagnetischer Felder im Menschen.

Aus BfS-Sicht liefern die publizierten Ergebnisse von Falcioni et al. keine überzeugende Evidenz für eine karzinogene Wirkung einer Ganzkörperexposition durch Mobilfunkstrahlung im Bereich und unterhalb der bestehenden Grenzwerte. Die von Falcioni et al. beobachtete Inzidenz von Herztumoren in männlichen Ratten lag in allen Expositionsgruppen im Schwankungsbereich der spontanen Hintergrundrate und in der mitgeführten umfangreichen Kontrollgruppe lag die Inzidenz dieser Erkrankung im Vergleich zu Kontrolldaten aus anderen Experimenten ungewöhnlich niedrig. Obwohl Falcioni et al. eine Vielzahl von statistischen Tests durchgeführt haben, ist die im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöhte Inzidenz von Herztumoren in der höchsten Expositionskategorie ohne Berücksichtigung des multiplen Testens als statistisch signifikant bewertet worden. Aus diesen Gründen ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem einzigen statistisch signifikanten Ergebnis der Ramazzini-Studie um ein falsch positives Ergebnis handelt, nicht vernachlässigbar.

Zusammenfassend geht das BfS deshalb weiterhin davon aus, dass nach jetzigem Kenntnisstand unterhalb der bestehenden Grenzwerte keine negativen gesundheitlichen Effekte durch elektromagnetische Felder mit den vom Mobilfunk verwendeten Frequenzen wissenschaftlich belegt sind.“

Da – unabhängig von der Ramazzini- und der NTP-Studie - verbleibende Unsicherheiten in der Bewertung möglicher Langzeitrisiken von intensiver Handynutzung bestehen, sind Vorsorgeempfehlungen ein probates Mittel, um mögliche, aber nicht nachgewiesene Risiken gering zu halten. Im Bereich des Mobilfunks konzentrieren sich die Vorsorgeempfehlungen des BfS auf die Endgeräte: Hersteller sollten ihre Produkte so konzipieren, dass Nutzer und Nutzerinnen möglichst niedrigen Feldstärken ausgesetzt werden. Nutzer und Nutzerinnen können durch die Auswahl von Geräten mit niedrigen angegebenen SAR-Werten und durch einfache Verhaltensmaßnahmen ihre persönliche Exposition gering halten. Das BfS gibt hierzu Vorsorgeempfehlungen.

Beschreibung der Studie und der Ergebnisse

Studiendesign und MethodenEinklappen / Ausklappen

Die sogenannte "Ramazzini-Studie" wurde 2005 begonnen und ist Teil einer großangelegten Experimentreihe3, um "diffuse karzinogene Risiken" zu bewerten. Es handelt sich um die größte Langzeitstudie über Auswirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern, die jemals an Ratten durchgeführt worden ist.

Insgesamt 2448 Tiere wurden freilaufend in Käfigen, die bis zu fünf Tiere beinhalteten, lebenslang in Fernfeld-ähnlichen Bedingungen einer kollinearen Dipol-Array-Antenne gehalten. Die Tiere wurden in verschiedene Expositionsgruppen mit Feldstärken von 0 (Kontrollgruppe mit Scheinexposition), 5, 25 und 50 V/m eingeteilt. Die ersten beiden Expositionsgruppen bestanden aus etwa je 400 Tieren und die beiden anderen aus etwa je 200 Tieren pro Geschlecht. Die Ganzkörperbefeldung mit GSM-modulierten hochfrequenten elektromagnetischen Feldern einer Frequenz von 1835 MHz (entsprechend einer Mobilfunkbasisstation mit 1,8 GHz) erfolgte bereits im Muttertier ab dem 12. Trächtigkeitstag bis zum natürlichen Tod der Nachkommen. Die Gesamtdauer des Experiments war damit höher als die der NTP-Studie, bei der alle überlebenden Tiere nach einer festgelegten Dauer von ca. zwei Jahren getötet wurden. Die Tiere wurden 19 Stunden pro Tag ohne Unterbrechung exponiert, starke Kurzzeitfluktuationen oder ein intermittierendes Ein- und Ausschalten der Exposition wie in der NTP-Studie fanden nicht statt. Den Autoren zufolge erzeugte die Antenne ein homogenes zylinderförmiges Fernfeld, das sich über alle Käfige erstreckte.

Die entsprechenden Ganzkörper-SAR (SAR = spezifische Absorptionsrate) der Ratten in den jeweiligen Expositionsgruppen wurden über empirisch ermittelte Kopplungsfaktoren auf 0; 0,001; 0,03 bzw. 0,1 W/kg abgeschätzt. Es handelt sich hierbei um Ganzkörper-SAR die unterhalb bzw. in der höchsten Expositionsgruppe auf vergleichbarem Niveau mit den Basisgrenzwerten beim Menschen liegen, die zum Schutz vor gesundheitlich nachteiligen Wirkungen international empfohlen worden sind. Im Vergleich zur NTP-Studie liegen diese Werte auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Die angegebenen Werte zur Luftfeuchtigkeit (40 – 60 %), Raumtemperatur (22 °C) und 12 Std Tag/ 12 Std Nacht-Zyklus sind mit den Bedingungen in der NTP-Studie vergleichbar.

Nach Eintritt des natürlichen Todes wurden die Tiere histopathologisch untersucht. Falcioni et al. geben an, dass die pathologische Diagnose verblindet durchgeführt worden ist und eine zweite, ebenfalls verblindete Begutachtung durch Pathologen des NTP erfolgte. In der Ramazzini-Studie werden verschiedene Endpunkte parallel betrachtet, die genaue Anzahl der untersuchten Endpunkte ist jedoch bis dato unbekannt.

Aus einer Dissertation, in der das Experiment in Teilen beschrieben worden ist4, lässt sich ableiten, dass mehr als 30 Gewebetypen zur histopathologischen Untersuchung vorgesehen sind. Die vorliegende Publikation von Falcioni et al. befasst sich mit insgesamt sieben Endpunkten der Organe Herz (Schwann-Zell-Hyperplasie sowie endokardiale und intramurale Schwannome) und Gehirn (benigne und maligne Hirnhauttumore, sowie Gliazell-Hyperplasien und maligne Gliome).

ErgebnisseEinklappen / Ausklappen

Bisher wurden nur histopathologische Untersuchungen des Gehirns und des Herzens der exponierten und nichtexponierten Tiere publiziert.

Herz

Bei männlichen Ratten zeigte sich im Vergleich zur Kontrollgruppe eine statistisch signifikant höhere Inzidenz von Schwannomen des Herzens (intramurale und endokardiale Schwannome) in der höchsten Expositionsgruppe, jedoch kein statistisch signifikanter Anstieg mit steigender Exposition (0 %; 0,7 %; 0,5 %; 1,4 % bei 0; 0,001; 0,03; 0,1 W/kg). Bei weiblichen Ratten waren keine statistisch signifikanten Unterschiede in den Inzidenzen zwischen Kontrolltieren und exponierten Tieren zu beobachten. In männlichen und weiblichen Ratten zeigte sich im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine erhöhte Inzidenz von Schwann-Zell-Hyperplasie (einer möglichen Vorstufe des Schwannoms) in der jeweils höchsten Expositionsgruppe, diese war jedoch nicht statistisch signifikant (männliche Tiere: 0,7 %; 0,5 %; 0,5 %; 2,4 %; weibliche Tiere: 0,5 %; 0 %; 0 %; 1,0 % bei 0; 0,001; 0,03; 0,1 W/kg).

Gehirn

Es wurden im Vergleich zu den Kontrollgruppen keine statistisch signifikant höheren Inzidenzen für prämaligne sowie maligne Gehirntumore (dies beinhaltet Gliazell-Hyperplasie, maligne Gliome, benigne und maligne Hirnhauttumore) in den verschiedenen Expositionsgruppen beider Geschlechter beobachtet. Bei weiblichen Ratten wurde eine Zunahme in der Inzidenz maligner Gliome (0,5 %, 0,7 %, 1,0 %, 1,5 % bei 0, 0,001, 0,03, 0,1 W/kg) mit zunehmender Exposition beobachtet. Dieser Trend war aber nicht statistisch signifikant.

Daneben wurden die Parameter Nahrungs- und Wasseraufnahme, mittleres Körpergewicht und Überlebensrate der Tiere erfasst. Bei männlichen als auch weiblichen Tieren zeigten sich keine Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und den exponierten Gruppen.

Bewertung durch die Autor*innen

Falcioni et al. sehen in ihren Ergebnissen eine Bestätigung der Ergebnisse der NTP-Studie und fordern aufgrund der Ergebnisse der beiden Großstudien eine Neubewertung der IARC-Einstufung bezüglich des karzinogenen Potentials hochfrequenter elektromagnetischer Felder beim Menschen. Sie begründen ihre Einschätzung mit der im Vergleich zur Kontrollgruppe statistisch signifikant erhöhten Inzidenz von Schwannomen des Herzens in der höchsten Expositionsgruppe der männlichen Ratten, die auch in der NTP-Studie beobachtet worden ist, sowie dem vermehrten Auftreten von Schwannzell-Hyperplasien in der höchsten Expositionsgruppe beider Geschlechter.

Die Autoren sehen in diesen Ergebnissen eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen epidemiologischer Studien, die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Akustikusneurinomen (gutartige Schwannzelltumore des Hörnervs) und Handynutzung liefern.

In dem statistisch nicht signifikanten, expositionsabhängigen Anstieg maligner Gliome bei weiblichen Ratten sehen die Autoren eine Übereinstimmung mit den Ergebnissen der NTP-Studie und einigen epidemiologischen Studien, die eine Assoziation zwischen dem Auftreten von Gliomen und intensiver Mobiltelefonnutzung nahelegen.

Bewertung durch das BfS

In den Publikationen zu den großangelegten Tierexperimenten des NTP und des Ramazzini-Institutes zur karzinogenen Wirkung von chronischen Ganzkörperexpositionen mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern wurden für bestimmte Tumoren des Herzens und des Gehirns Hinweise auf einen solchen Zusammenhang berichtet.

Bezüglich der Tumore am Herzen sind die statistisch signifikanten Ergebnisse beider Studien in Tumorart und Geschlechtsspezifität vergleichbar, jedoch unterscheiden sie sich wesentlich hinsichtlich der Expositionsstärke, bei der die Effekte beobachtet worden sind. Sollte der in der NTP-Studie beobachtete Expositions-abhängige Anstieg der Inzidenz von Herz-Schwannomen tatsächlich Expositions-induziert sein, steht die Frage im Raum, ob in der Ramazzini-Studie derselbe Effekt bei vergleichsweise niedrigen SAR-Werten mit geringerer Effektstärke nachgewiesen wurde. Aufgrund der am Ramazzini-Institut verwendeten deutlich höheren Tierzahl pro Expositionsgruppe erscheint diese Möglichkeit auf den ersten Blick denkbar, da die Detektionswahrscheinlichkeit für kleine Effekte mit zunehmender Tierzahl steigt. In der Gesamtschau der Daten kann dieser Schluss unter Einbeziehung von Qualitäts-, Studiendesign- und Plausibilitäts-Kriterien allerdings nicht gezogen werden.

Aus Sicht des BfS liefern weder die Ramazzini- noch die NTP-Studie eine verlässliche Evidenz für eine karzinogene Wirkung von langandauernder Ganzkörperexposition mit elektromagnetischen Feldern im Bereich der Grenzwerte (ausführliche Stellungnahme des BfS zur NTP-Studie).

Die Ramazzini-Studie weist im Vergleich zur NTP-Studie eine Reihe von Stärken auf, sie hat jedoch auch eine Reihe von methodischen Schwächen. Beides wird im Folgenden erläutert und anschließend wird die wissenschaftliche Plausibilität der Ergebnisse im Gesamtkontext bewertet.

Stärken der Ramazzini-StudieEinklappen / Ausklappen

Die Stärken der Ramazzini-Studie liegen im Vergleich zur NTP-Studie insbesondere in der 2- bis 4-fach höheren Anzahl an Versuchstieren pro Expositionsgruppe (z.B. Kontrolltiere, Ramazzini: > 400 vs. NTP: 90), der deutlich längeren Studiendauer (Ramazzini: lebenslang bis zu 152 Wochen vs. NTP: 107 Wochen) und der Verblindung der histopathologischen Untersuchungen, was den Einfluss einer Erwartungshaltung bei der Analyse unwahrscheinlich macht. Auf welche Weise die Verblindung sichergestellt worden ist, wurde jedoch nicht angegeben. Anders als in der NTP-Studie unterscheiden sich die Überlebensraten zwischen Kontrolltieren und befeldeten Tieren nicht wesentlich, sodass keine Verfälschung der Ergebnisse durch ein unterschiedliches Durchschnittsalter der Gruppen zu befürchten ist. Dass in der Ramazzini-Studie zusätzlich zum Körpergewicht auch Daten zum Futter- und Wasserverbrauch erhoben worden sind, ist ebenfalls positiv hervorzuheben. Diese Daten weisen darauf hin, dass die Befeldung nicht zu großen Veränderungen des Metabolismus geführt hat. In der NTP-Studie sind Daten, aus denen Rückschlüsse auf Veränderungen des Metabolismus oder möglichen thermischen Stress bei hohen Ganzkörperabsorptionen gezogen werden können, nicht erhoben worden.

Schwächen der Ramazzini-StudieEinklappen / Ausklappen

Dokumentation der Vorgehensweisen

Die veröffentlichten Daten sind als Teilergebnis einer noch nicht abgeschlossenen Studie zu werten, die deutlich weniger gut dokumentiert ist als die finalen Berichte der NTP-Studie. Die Ergebnisse von Falcioni et al. sind aufgrund fehlender Hintergrundinformationen derzeit nicht vollumfänglich bewertbar.

Multiples Testen

Aus einer Dissertation, in der das Experiment in Teilen beschrieben worden ist4, lässt sich ableiten, dass mehr als 30 Gewebetypen zur histopathologischen Untersuchung vorgesehen waren. Die vollständige Anzahl an untersuchten Endpunkten geht aus dem Artikel allerdings nicht hervor. In Tabelle 2 und Tabelle 3 werden jedoch zumindest 7 Gewebetypen mittels 3 Gruppenvergleichen (Gruppe II vs. I, Gruppe III vs. I, Gruppe IV vs. I) getrennt nach Geschlecht untersucht. Allein bei Betrachtung dieser möglicherweise unvollständigen Anzahl von Endpunkten ist daher von mindestens 42 durchgeführten statistischen Hypothesen-Tests auszugehen. In einem solchen multiplen Testproblem ist man mit einer alpha-Fehler-Inflation konfrontiert. Das bedeutet, der Fehler 1. Art, der in der Regel durch ein Signifikanz-Niveau von α = 0.05 begrenzt wird, ist ohne Anwendung einer entsprechenden Korrektur (z.B. Bonferroni-Korrektur) deutlich erhöht. Im vorliegenden Artikel wurde von der Anwendung einer solchen Korrektur nicht berichtet. Allerdings kann man unter der Annahme, dass die Hypothesentests unabhängig sind und der Fehler 1. Art auf α = 0.05 begrenzt ist, bereits 2 falsch-positive Testentscheidungen unter den berichteten Ergebnissen erwarten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das in Falcioni et al. berichtete einzige statistisch signifikante Test-Ergebnis, ein falsch-positives Ergebnis darstellt.

Inzidenz in Kontrolltieren

In der Ramazzini-Studie unterscheidet sich die Inzidenz von Schwannomen am Herzen männlicher Ratten statistisch signifikant zwischen der verwendeten Kontrollgruppe (0/412; 0 %) und der höchsten Expositionsgruppe (3/207; 1,4 %). Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die beobachteten Null Fälle in den Kontrolltieren ein realistisches Abbild der spontanen Inzidenz für Schwannome am Herzen männlicher Ratten sind. Die Autoren selbst geben an, dass aus den Daten der historischen Kontrollen vergangener Experimente zwischen 1986 und 2004 eine Inzidenz von 0,6 % für diesen Tumor in männlichen SD Ratten errechnet werden kann. Die Quelle für diese Daten wird nicht angegeben und es wird nicht klar, ob sich die Daten ausschließlich auf Tiere beziehen, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Dies wäre jedoch für eine Vergleichbarkeit entscheidend, insbesondere wenn spät auftretende Tumore betrachtet werden. Die Tumordiagnostik erfolgte gemäß der Autoren in der vorliegenden Studie nach denselben Kriterien wie in der NTP-Studie. Diese Kriterien wurden vor kurzem von der NTP überarbeitet. Ob die diagnostischen Kriterien daher in dieser Form auch in den Kontrollexperimenten vor teilweise über 20 Jahren existierten, ist ungewiss.

Aktuellere Daten für die spontane Inzidenz von Schwannomen am Herzen von männlichen SD-Ratten in den Kontrollexperimenten wurden 2016 auf einem NTP-Symposium gezeigt5 und mit 9 von 699 Tieren (1,3 %) angegeben. Der Mittelwert (1,4 %) und die Standardabweichung (2,1 %) der Einzelexperimente deuten auf vergleichsweise starke Streuungen zwischen den Experimenten hin. Die offiziellen Zahlen des NTP, die auf der NTP-Website abrufbar sind6, und bereits die Kontrolltiere der NTP-Studie beinhalten, liegen in einer ähnlichen Größenordnung (neun Fälle bei 489 Tieren, 1,8 %, Standardabweichung der Experimente 2 %). Hierbei ist anzumerken, dass die Tiere in den NTP-Experimenten ihre natürliche Lebenserwartung nicht erreichen, da die meisten Langzeit-Experimente nach 104 Wochen abgebrochen werden. Zu diesem Zeitpunkt sind typischerweise noch mehr als 30 % der Tiere am Leben. Werte, die aus NTP-Experimenten stammen, müssen daher aufgrund der späten Entwicklung von Schwannomen am Herzen als untere Grenze für die zu erwartende Inzidenz betrachtet werden, wenn ein Vergleich zur vorliegenden Studie ohne vorzeitigen Abbruch gezogen wird.

Legt man bei der Ramazzini-Studie die Werte der historischen Kontrollen als Vergleich zugrunde, liegt die beobachtete Inzidenz der Schwannome am Herzen in der höchsten männlichen Expositionsgruppe mit 1,4 % durchaus in einer Größenordnung, die auch ohne einen Einfluss der Felder als wahrscheinlich erscheint. Die spontane Rate ist auch im Ramazzini-Institut einer Schwankungsbreite unterworfen, so liegt die Inzidenz der Schwannome am Herzen von weiblichen Kontrolltieren mit 1 % beispielsweise deutlich über den Werten, die die Autoren (0,3 %) und NTP (0,61 %) als historische Inzidenz in weiblichen Kontrolltieren angeben. Auch unter Exposition schwankt die beobachtete Inzidenz stark (2,2 %; 0,5 %; 1 % bei 0,001; 0,03; 0,1 W/kg). Aufgrund der geringen Fallzahlen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das statistisch signifikante Ergebnis der Ramazzini-Studie auf Schwankungen der spontanen Rate (Kontrolle niedriger als erwartet, Expositionsgruppe höher als erwartet) beruht.

Unsicherheiten in der Expositionsabschätzung

Bezüglich der Exposition der Versuchstiere ergeben sich Unklarheiten. Dass die Expositionen deutlich über die angegebenen Feldstärken hinausgingen, ist anhand der Beschreibung des Aufbaus zwar nicht wahrscheinlich, für eine belastbare Dosimetrie sind die angegebenen Werte jedoch unzureichend. Weder das Antennendiagramm der verwendeten Array-Antenne noch ortsaufgelöste Feldstärkemessungen sind Bestandteil der Publikation. Auch der genaue Messort für die Überwachung der Feldstärke und der Messort, auf den sich die angegebenen Feldstärken der Expositionsgruppen beziehen, sind in der Publikation nicht angegeben. Für die Bestimmung der Ganzkörper-SAR wurde ein Kopplungsfaktor verwendet, der weder wachstumsbedingte und individuelle Größenunterschiede noch Körperhaltung der Tiere abbildet. Dieser Kopplungsfaktor stammt aus einer anderen Publikation7 und wurde für eine Frequenz von 1,6 GHz und 370 g schwere Ratten bestimmt. Er ist etwas kleiner als die Kopplungsfaktoren für ähnlich schwere Ratten, die in der NTP-Studie mit einer Frequenz von 900 MHz in Modenverwirbelungskammern befeldet worden sind8. Da der Kopplungsfaktor ausschließlich für nahezu ausgewachsene Tiere bestimmt wurde, bildet er die erhöhte Absorptionseffizienz junger (kleinerer) Ratten nicht ab, die bei einer Frequenz von 1835 MHz aufgrund von Resonanzeffekten deutlich effektiver absorbieren als die ausgewachsene Ratten. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Jungtiere höheren SAR-Werten ausgesetzt waren als angegeben.

Für die Anwendbarkeit von Kopplungsfaktoren sind außerdem Fernfeldbedingungen notwendig. Bei einer Array-Antenne ist die Fernfelddistanz nicht notwendigerweise von den Antennendimensionen unabhängig und kann daher die Fernfelddistanz eines einzelnen Dipols deutlich überschreiten. Ohne eine detaillierte Beschreibung des Antennensystems ist nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Tiere tatsächlich im Fernfeld der Antenne befanden. Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus der Tatsache, dass bis zu fünf Tiere in einem Käfig gehalten worden sind, was Abschirmeffekte zur Folge haben kann. Eine Abschätzung der dosimetrischen Unsicherheit, die sich unter anderem aus den hier aufgeführten Aspekten ergibt, ist nicht erfolgt oder wurde von den Autoren nicht angegeben. Im Gegensatz dazu sind für die NTP-Studie detaillierte Unsicherheitsabschätzungen publiziert worden8.

Die Beschreibung der Exposition ist insgesamt unzureichend und die Expositionsabschätzung damit wenig belastbar.

Einordnung der Ergebnisse der Ramazzini-StudieEinklappen / Ausklappen

Zusammenfassung der beobachteten Inzidenzen kardialer Schwannome in Sprague-Dawley-Ratten in der NTP- und Ramazzini-Studie Zusammenfassung der beobachteten Inzidenzen kardialer Schwannome in Sprague-Dawley-RattenZusammenfassung der beobachteten Inzidenzen kardialer Schwannome in Sprague-Dawley-Ratten in der NTP- und Ramazzini-Studie. Diese Abbildung ist eine Adaption von Fig. 3 aus "Thermoregulatory Stress as Potential Mediating Factor in the NTP Cell Phone Tumor Study" von Kuhne et al. und ist im Rahmen der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.

Schwannome des Herzens

Sowohl in der NTP-Studie als auch in der Ramazzini-Studie sind Daten zur Inzidenz von Schwannomen am Herzen in weiblichen und männlichen Ratten unter verschiedenen Expositionsbedingungen erhoben worden. Eine Zusammenfassung dieser Daten sowie Daten von Kontrollgruppen anderer Experimente ist in der nebenstehenden Abbildung gezeigt. (Die Abbildung ist eine Adaption von Fig. 3 aus "Thermoregulatory Stress as Potential Mediating Factor in the NTP Cell Phone Tumor Study" von Kuhne et al. und ist im Rahmen der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.) In Gesamtbetrachtung lässt sich für weibliche Ratten keine Expositionsabhängigkeit erkennen, vielmehr scheinen die Daten statistische Fluktuationen um die spontane Hintergrundinzidenz für Schwannome des Herzens in weiblichen Ratten darzustellen. Es gibt in der Literatur keine Anhaltspunkte dafür, dass die spontane Hintergrundrate in männlichen Ratten kleiner als die der Weibchen ist, sodass die beobachteten Fluktuationen in Weibchen auch für Männchen erwartet werden können, wenn die Gruppengrößen vergleichbar sind. Bei den männlichen Ratten lässt sich für die hohen Expositionsgruppen, die in der NTP-Studie zum Einsatz kamen, ein Ansteigen der Inzidenz beobachten.

Wie in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung des BfS zur NTP-Studie bereits dargelegt wurde2, gibt es Hinweise dafür, dass es sich um einen vor allem bei männlichen Ratten ausgeprägten thermischen Effekt handeln könnte. Dass ein solcher Effekt auch für die Ergebnisse der Ramazzini-Studie verantwortlich sein könnte, ist anhand der Expositionsbeschreibung unwahrscheinlich. Die in der Ramazzini-Studie bei deutlich geringerer SAR von 0,1 W/kg beobachtete Inzidenz von 1,4 % in männlichen Ratten liegt im Bereich der erwartbaren statistischen Schwankungen. Dieses im Vergleich zur mitgeführten Kontrollgruppe statistisch signifikante Ergebnis ist daher aus Sicht des BfS nicht hinreichend belastbar, um einen Kausalzusammenhang daraus abzuleiten oder - wie von den Autoren behauptet - Ergebnisse der NTP-Studie zu bestätigen.

Maligne Gliome

Der beobachtete Anstieg der malignen Gliome (mit Exposition aufsteigend: 0,5 %; 0,7 %; 1,0 %; 1,5 %) in weiblichen Tieren ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt von statistischen Schwankungen zu betrachten. Weder der paarweise Vergleich der Expositionsgruppen mit der Kontrollgruppe noch der Trendtest waren statistisch signifikant. In der NTP-Studie wurde ein Anstieg maligner Gliome unter sehr hohen Expositionen vor allem in männlichen Ratten beobachtet. Die Autoren argumentieren damit, dass in einigen Fall-Kontroll-Studien eine Assoziation zwischen Gliomen und intensiver Mobiltelefonnutzung gesehen wurde11. Eine kürzlich erschienene Metaanalyse, in der viele epidemiologische Studien zusammengefasst worden sind, zeigt jedoch keinen konsistenten Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und dem Auftreten von Gliomen12.

Exposition

Die in der Ramazzini-Studie verwendeten Feldstärken (5, 15 und 50 V/m) liegen zwar unterhalb der in der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegten Grenzwerte für leistungsstarke ortsfeste Hochfrequenzanlagen und damit in einem Bereich, der in Extremsituationen theoretisch für die Allgemeinbevölkerung auftreten kann. Allerdings ist selbst ein kurzzeitiges Erreichen der spezifischen Ganzkörper-Absorptionsrate, bei der bei lebenslanger Exposition eine im Vergleich zur Kontrollgruppe statistisch signifikant erhöhte Inzidenz von Herztumoren in männlichen Ratten beobachtet wurde, in den Alltagssituationen der Allgemeinbevölkerung extrem unwahrscheinlich. Eine Exposition der Allgemeinbevölkerung, die lebenslang zu dieser spezifischen Ganzkörper-Absorptionsrate führt, ist praktisch ausgeschlossen.


Fazit

Insgesamt geht das BfS weiterhin davon aus, dass bei Einhaltung der Grenzwerte keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen durch elektromagnetische Felder mit den vom Mobilfunk verwendeten Frequenzen zu erwarten sind.

Literatur

1 Falcioni, L., et al. "Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission." Environmental research 165 (2018): 496-503.

Langzeitstudie an Mäusen und Ratten zu Ganzkörperexposition mit Mobilfunkfeldern (NTP-Studie)

3 Soffritti, Morando, et al. "Mega‐experiments to identify and assess diffuse carcinogenic risks." Annals of the New York Academy of Sciences 895.1 (1999): 34-55.

Laura Contalbrigo, Effects Of Extremely Low Frequency And Radiofrequency Electromagnetic Fields On Circadian Rhythms Of Some Blood Parameters In Sprague-Dawley Rats, Dissertation, 2008 [zuletzt abgerufen am 30.06.2020]

5 Elmore, S.A., et al., Proceedings of the 2016 National Toxicology Program Satellite Symposium. Toxicologic pathology, 2017. 45(1): p. 11-51.

NTP Historical Controls ReportAll Routes and VehiclesHarlan Sprague-Dawley RATS [zuletzt abgerufen am 30.06.2020]

7 Anderson, Larry E., et al. "Two-year chronic bioassay study of rats exposed to a 1.6 GHz radiofrequency signal." Radiation Research 162.2 (2004): 201-210.

8 Gong, Yijian, et al. "Life-time dosimetric assessment for mice and rats exposed in reverberation chambers for the two-year NTP cancer bioassay study on cell phone radiation." IEEE transactions on electromagnetic compatibility 59.6 (2017): 1798-1808.

9 Capstick, Myles H., et al. "A radio frequency radiation exposure system for rodents based on reverberation chambers." IEEE transactions on electromagnetic compatibility 59.4 (2017): 1041-1052.

10 Kuhne et al. "Thermoregulatory Stress as Potential Mediating Factor in the NTP Cell Phone Tumor Study." Bioelectromagnetics. 2020 Sep;41(6):471-479

11 Carlberg, Michael, and Lennart Hardell "Evaluation of mobile phone and cordless phone use and glioma risk using the Bradford Hill viewpoints from 1965 on association or causation." BioMed research international 2017 (2017)

12 Röösli, Martin, et al. "Brain and salivary gland tumors and mobile phone use: evaluating the evidence from various epidemiological study designs." Annual review of public health 40 (2019): 221-238.

NTP Technical report on the toxicology and carcinogenesis studies in Hsd: Sprague Dawley SD rats exposed to whole-body radio frequency radiation at a frequency (900 MHz) and modulations (GSM and CDMA) used by cell phones; NTP TR 595, November 2018 [zuletzt abgerufen am 30.06.2020]

Stand: 19.02.2024

Wie bewerten Sie diesen Artikel?

Seiteninformationen und -Funktionen