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11.2. Molekulardynamik von Proteinfaltung unter Einfluss von externen magnetischen Feldern

Projektleitung: Prof. Dr. Ulrich Kleinekathöfer, Jacobs University Bremen
Beginn: 09.05.2022
Ende: 09.05.2025

Hintergrund

Mögliche gesundheitliche Auswirkungen der Exposition gegenüber niederfrequenten Magnetfeldern (MF) werden seit Jahrzehnten intensiv untersucht. Die IARC bewertete 2002 niederfrequente MF als „möglicherweise krebserregend“ [1]. In einem systematischen Review und Meta-Analyse[2] wurde ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von amyotropher Lateralsklerose (ALS) in beruflich exponierten Bevölkerungsgruppen beobachtet. Das Auftreten von ALS wird mit der Missfaltung bestimmter Proteine, wie dem TAR-DNA Bindungsprotein 43 (TDP-43) oder der Cu/Zn Superoxid-Dismutase (SOD1), in Verbindung gebracht [3]. Weiterhin wurde eine Modifikation der Calmodulin (CaM) Aktivierung durch externe statische MF beobachtet [4]. Diese und weitere Beispiele legen die bisher nicht bestätigte Vermutung nahe, dass äußere MF die Langzeitdynamik von bestimmten Proteinen beeinflussen könnten. Ein Wirkmechanismus, der niederfrequente MF als Ursache für die beobachteten Effekte erklären könnte, kann jedoch aus den oben erwähnten Studien nicht abgeleitet werden. Dazu bedarf es der Identifikation der zugrunde liegenden Feld-Molekül-Wechselwirkungen und darauf aufbauend einer Untersuchung der Zeitentwicklung eines Biopolymers unter dem Einfluss des äußeren Feldes. Aufgrund der enormen Größe von Biopolymeren und deren Umgebung ist dies numerisch nur unter enormem Rechenaufwand möglich. Die Forschung bedient sich hierbei der Molekulardynamik (MD) Simulation: Mithilfe eines numerischen Algorithmus (z.B. velocity Verlet [5]) werden in finiten Zeitintervallen die klassischen Newtonschen Bewegungsgleichungen des Systems unter stochastischem Rauschhintergrund gelöst.

Für den Bereich der elektromagnetischen Felder ist besonders interessant, dass externe Felder durch Modifikation der zugrunde liegenden Kraftfelder mit berücksichtigt werden können. Dies wurde im Bereich elektrischer Felder beispielsweise in [6, 7] ausgeführt.

Im Fall von MF fand die Einbindung in die numerischen Algorithmen erst in den letzten Jahren statt. Man nutzt dabei die Tatsache, dass bewegte geladene Teilchen in einem MF die Lorentzkraft erfahren. Die Implementation in den velocity Verlet code und erste Ergebnisse wurden in [8, 9] erzielt.

Dies eröffnet die vielversprechende Perspektive, Wirkungen von externen MF etwa auf die oben genannten Proteine oder bestimmter Teilproteine zu untersuchen, um Missfaltungen zu identifizieren oder entsprechende Anzeichen in der freien Energie-Landschaft des jeweiligen Vielteilchensystems auszumachen.

Zielsetzung

Ziel des Projektes ist die molekulare Simulation des Einflusses von externen MF auf Proteine und insbesondere deren Faltung. Dabei sollen sowohl biologisch relevante realistische Systeme als auch Modellpeptide untersucht werden. Die Auswertung der erhaltenen Trajektorien im Hinblick auf spezielle physikalische Parameter wie z.B. RMSD-Werte, Gyrationsradien, Ladungs- und Oberflächenverteilungen sowie Dipolmomentspektren soll Aufschluss über die zeitliche Entwicklung der Konformation der beteiligten Systeme geben.

Durchführung

An speziell ausgewählten Proteinstrukturen (einerseits große, biologisch relevante Systeme, andererseits kleine Modellpeptide für Langzeitsimulationen) sollen vollatomistische MD Simulationen mit dem Programm NAMD durchgeführt werden. Zusätzlich zu „freien“ Proteinfaltungssimulationen werden kraftgetriebene MD Simulationen durchgeführt. Die verwendeten Methoden umfassen accelerated molecular dynamics, bias functional- und replica exchange Simulationen. Die numerisch aufwendigen und zeitintensiven Trajektorien-Rechnungen werden auf einem graphisch beschleunigten Rechner durchgeführt. Für jedes System werden mehrere Trajektorien mit und ohne äußerem Feld miteinander verglichen.

Die Auswertung der Simulationen geschieht in einem ersten Schritt durch MD standard-Analysen. Diese umfassen die Untersuchung der Zeitentwicklung der relativen Lage des Systems bezüglich dessen Mittelwert (RMSD-Wert) und der Gyrationsradien, die Untersuchung der hydrophoben/hydrophilen Oberflächen, das Dipolmomentspektrum und der elektrischen Ladungsverteilungen. Durch die Wiederholung der Analysen an mehreren Trajektorien mit und ohne externem Feld ist es das Ziel, Differenzen statistisch signifikant herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt wird schließlich die Relevanz im Hinblick auf den Strahlenschutz bewertet und Schwellenwerte der Feldstärken bestimmt, unter denen Wirkungen auf die oben beschriebenen physikalischen Parameter im Rahmen der durchgeführten Simulationen ausgeschlossen werden können.

Referenzen

1 International Agency for Research on Cancer, 2002. Non-ionizing radiation (Vol. 80). World Health Organization.

2 Huss, A., Peters, S. and Vermeulen, R., 2018. Occupational exposure to extremely low‐frequency magnetic fields and the risk of ALS: A systematic review and meta‐analysis. Bioelectromagnetics, 39(2), pp.Lit 2 156-163.

3 McAlary, L., Plotkin, S.S., Yerbury, J.J. and Cashman, N., 2019. Prion-like propagation of protein misfolding and aggregation in amyotrophic lateral sclerosis. Frontiers in molecular neuroscience, 12, p.262.

4 Liboff, A.R., Cherng, S., Jenrow, K.A. and Bull, A., 2003. Calmodulin‐dependent cyclic nucleotide phosphodiesterase activity is altered by 20 μT magnetostatic fields. Bioelectromagnetics: Journal of the Bioelectromagnetics Society, The Society for Physical Regulation in Biology and Medicine, The European Bioelectromagnetics Association, 24(1), pp.32-38.

5 Allen, M.P., 2004. Introduction to molecular dynamics simulation. Computational soft matter: from synthetic polymers to proteins, 23(1), pp.1-28.

6 della Valle, E., Marracino, P., Pakhomova, O., Liberti, M. and Apollonio, F., 2019. Nanosecond pulsed electric signals can affect electrostatic environment of proteins below the threshold of conformational effects: The case study of SOD1 with a molecular simulation study. PloS one, 14(8), p.e0221685.

7 Marracino, P., Havelka, D., Průša, J., Liberti, M., Tuszynski, J., Ayoub, A.T., Apollonio, F. and Cifra, M., 2019. Tubulin response to intense nanosecond-scale electric field in molecular dynamics simulation. Scientific reports, 9(1), pp.1-14.

8 della Valle, E., Marracino, P., Setti, S., Cadossi, R., Liberti, M. and Apollonio, F., 2017, August. Magnetic molecular dynamics simulations with Velocity Verlet algorithm. In 2017 XXXIInd General Assembly and Scientific Symposium of the International Union of Radio Science (URSI GASS) (pp. 1-4). IEEE.

9 della Valle, E., Marracino, P., Setti, S., Cadossi, R., Liberti, M. and Apollonio, F., 2018, May. Magnetic molecular dynamics simulations of A2A receptor in solution. In 2018 2nd URSI Atlantic Radio Science Meeting (AT-RASC) (pp. 1-3). IEEE.

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