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Individuelle Strahlenempfindlichkeit

  • Der Begriff "Strahlenempfindlichkeit" beschreibt die Sensitivität von Organismen auf die Wirkung ionisierender Strahlung.
  • Eine Ursache für Strahlenempfindlichkeit kann die ungenügende und/oder fehlerbehaftete Reparatur des durch Strahlen geschädigten genetischen Materials der Zellen (DNA) sein, etwa durch defekte Reparaturmechanismen.
  • Die individuelle genetische Ausstattung jedes einzelnen Menschen bestimmt dessen Strahlenempfindlichkeit oder Strahlenresistenz.
  • Für die Abschätzung der individuellen Strahlenempfindlichkeit im hohen Dosisbereich könnten in den nächsten Jahren Biomarker und biologische Tests zur Verfügung stehen, die eine routinemäßige zuverlässige Identifizierung von erhöht strahlenempfindlichen Personen ermöglichen.

Der Begriff "Strahlenempfindlichkeit" beschreibt die Sensitivität von Organismen auf die Wirkung ionisierender Strahlung. Dies kann die Ebene von einzelnen Zellen, Geweben und Organen betreffen und sich somit auf den Gesamtorganismus auswirken. Bestimmte Veränderungen in der Erbsubstanz können zu einer drastischen Änderung der Strahlenempfindlichkeit führen. Schon früh in der Geschichte der Strahlentherapie wurde klar, dass einzelne Personen unterschiedlich auf Strahlung reagieren. Dies zeigte sich unter anderem im häufigeren Auftreten von akuten Nebenwirkungen, aber auch im erhöhten Auftreten von Späteffekten wie bösartigen Sekundärerkrankungen.

Strahlen wirkungen auf Menschen Strahlenempfindlichkeit Strichmännchen

Genreparaturdefekt kann Ursache für Überreaktionen sein

Eine Ursache für solche Überreaktionen kann die ungenügende und/oder fehlerbehaftete Reparatur des durch Strahlen geschädigten genetischen Materials der Zellen (DNA) sein, etwa durch defekte Reparaturmechanismen. Beispiel für einen derartigen Reparaturdefekt ist ein mutiertes, das heißt verändertes AT-Gen, das in der veränderten Form als ATM bezeichnet wird und zu einem Krankheitsbild führt, das als "Ataxia telangiectasia" ("Louis-Bar-Syndrom") bezeichnet wird.

Auffällig wurden diese Patienten durch ausgeprägte Nebenwirkungen schon während beziehungsweise nach einer Strahlentherapie, die in vielen Fällen kurz nach Abbruch der Therapie zum plötzlichen Tod der Patienten geführt haben. Auch andere Nebenwirkungen der Strahlentherapie auf Normalgewebe, wie Hautrötungen und das Absterben von Gewebe, stehen im Zusammenhang mit der individuellen Strahlenempfindlichkeit.

Zusammenhang zwischen Strahlenempfindlichkeit und Erkrankungen (Genetische Veranlagung)

Experimentelle Studien an Zellen und Geweben von Patienten mit unterschiedlichsten Erkrankungen wie Krebs, Erkrankungen des Nervensystems, der Immunabwehr oder des vorzeitigen Alterns sind häufig mit einer erhöhten individuellen Strahlenempfindlichkeit korreliert. Da diese Krankheitsbilder den unterschiedlichsten Erkrankungsgruppen zugeordnet werden können, existiert kein einheitliches Erscheinungsbild für die "Strahlenempfindlichkeit".

Die individuelle genetische Ausstattung jedes einzelnen Menschen bestimmt dessen Strahlenempfindlichkeit oder Strahlenresistenz. Welche Faktoren dafür jedoch im Einzelnen verantwortlich sind, ist bis auf wenige bestimmte Einzelerkrankungen heute noch weitgehend unbekannt.

Für die Ausprägung der Strahlenempfindlichkeit ist entscheidend, wie verschiedene genetische Merkmale kombiniert sind und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Auch Hormonhaushalt, Immunsystem sowie verschiedenste Umwelteinflüsse (Infektionen, Schadstoffe und Ernährung), können den Grad der Strahlenempfindlichkeit beeinflussen.

Ursache können Veränderungen von Genprodukten sein

Ursache einer veränderten Strahlenempfindlichkeit sind zum Teil Veränderungen von Genprodukten (Proteinen), die dafür sorgen, dass die Erbsubstanz (DNA) intakt bleibt beziehungsweise entstandene Schäden repariert werden. Einige dieser Veränderungen werden in zellulären und klinischen Studien mit einer erhöhten Strahlenempfindlichkeit in Verbindung gebracht. Verändertes Zellwachstum oder - bei irreparablen Zellschäden - ein von den Zellen selbst eingeleiteter Zelltod (Apoptose), sind ebenfalls individuelle Parameter für die Strahlenempfindlichkeit.

Es wird angenommen, dass der Anteil an strahlenempfindlichen Personen in der Normalbevölkerung im Bereich von fünf bis zehn Prozent liegt. Bei Tumorpatienten kann dieser Anteil allerdings erhöht sein und bis zu 30 – 40 Prozent betragen.

Methoden zur Vorabbestimmung der Strahlenempfindlichkeit

In einzelnen Fällen sind Personen, die bestimmte Genveränderungen zeigen, wie zum Beispiel Patienten mit "Ataxia telangiectasia" (Louis-Bar-Syndrom), bereits im Erscheinungsbild auffällig, so dass die klinische Behandlungsmethode entsprechend angepasst werden kann. In den meisten Fällen jedoch sind strahlenempfindliche Personen äußerlich unauffällig.

Biomarker oder biologische Tests zur Bestimmung der Strahlenempfindlichkeit

Zur Identifizierung besonders strahlenempfindlicher Personen werden derzeit in-vitro-Testverfahren entwickelt, die auf molekularbiologischen, zytogenetischen oder zellulären Methoden basieren. Betrachtet man die Strahlenempfindlichkeit im Zellsystem, so werden Merkmale wie zum Beispiel das Zellüberleben gemessen. Zellen werden hierfür im Labor bestrahlt und danach weiter kultiviert, um die Anzahl der überlebenden Zellen bestimmen zu können. Auch das Verhältnis zwischen selbst eingeleitetem und unkontrolliertem Zelltod kann ein Anzeichen für Strahlenempfindlichkeit sein.

Testsysteme auf DNA-Ebene

Testsysteme auf DNA-Ebene sind zum Beispiel die Analyse von Chromosomenschäden, hier werden falsch-reparierte DNA-Brüche nach Bestrahlung erfasst. Die DNA-Reparaturfähigkeit von Zellen kann auch direkt über den Nachweis von DNA-Strangbrüchen untersucht werden. Häufig verwendete Methoden hierfür sind

  • der Comet-Assay (Technik, mit der man die strahlen-induzierte Anzahl der DNA-Brüche im Zellkern feststellen kann),
  • der gamma H2AX-Assay (Technik, mit der Reparaturproteine an strahlen-induzierten DNA-Bruchstellen sichtbar gemacht werden) sowie
  • die Erfassung der Mutationshäufigkeit, zum Beispiel über die Bestimmung einer definierten Basenabfolge auf der DNA.

Bedeutung für den Strahlenschutz

Verfahren zur Bestimmung der individuellen Strahlenempfindlichkeit wären besonders vor einer Strahlentherapie oder im Zusammenhang mit einem Strahlenunfall wünschenswert.

Strahlentherapie

Im Fall einer Strahlentherapie könnte der Behandlungsplan der Strahlenempfindlichkeit des Patienten individuell angepasst werden. Dadurch könnte es gelingen, Nebenwirkungen deutlich zu reduzieren.

Behandlung von Strahlenunfällen

Bei einem Strahlenunfall mit einer hohen Strahlenexposition hängt die Überlebenswahrscheinlichkeit des Opfers direkt von der individuellen Reaktion auf die erhaltene Dosis ab. Gelingt es mittels biologischer Indikatoren, die den Einfluss der individuellen Strahlenempfindlichkeit erfassen (Blutbild, Chromosomen-Aberrationen, Mikronuklei), Informationen zur individuellen Strahlenempfindlichkeit schnell zur Verfügung zu stellen, so könnte dies die behandelnden Ärzte in der Therapiewahl leiten.

Bislang orientieren sich die Ärzte bei der Behandlung von Patienten nach Strahlenunfällen vorrangig am klinischen Erkrankungsbild des Unfallopfers und nicht ausschließlich an der physikalisch ermittelten Strahlendosis.

Fazit

Die Kenntnis der individuellen Strahlenempfindlichkeit wäre besonders im Falle einer Exposition mit höheren Dosen (Therapie, Unfall) sehr hilfreich. Im niederen Dosisbereich (unterhalb der Grenzwerte) und innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung ist der Nutzen einer Information zur Strahlenempfindlichkeit fraglich. Für die Abschätzung der individuellen Strahlenempfindlichkeit im hohen Dosisbereich könnten in den nächsten Jahren Biomarker und biologische Tests zur Verfügung stehen, die eine routinemäßige zuverlässige Identifizierung von erhöht strahlenempfindlichen Personen ermöglichen.

Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob die Nachweistechniken für die Strahlenempfindlichkeit im hohen Dosisbereich auch im Bereich mittlerer und niedriger Strahlenexpositionen spezifische und belastbare Aussagen liefern können. Vor dem Einsatz derartiger Diagnosetechniken für den mittleren und niedrigen Dosisbereich, der unter anderem für den Arbeitsschutz und Rettungsdienst relevant sein könnte, ist zunächst diese Frage zu klären. Allerdings dürfen dann auch der Datenschutz sowie ethische Aspekte und persönliche Rechte nicht außer Acht gelassen werden.

Stand: 19.08.2021

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