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Vereinfachte Dosisabschätzung
- Beim Umgang mit NORM-Stoffen können Beschäftigte innerhalb des Betriebs, bei dem diese Rückstände entstehen, aber auch außerhalb - bei Verwertungs- oder Entsorgungsunternehmen - einer erhöhten Strahlenexposition ausgesetzt sein.
- Auch bei der Allgemeinbevölkerung kann es durch die Verwertung oder Beseitigung zu erhöhten Strahlenexpositionen kommen.
- Wie lässt sich diese Strahlenexposition vereinfacht abschätzen, und wie kann sie gegebenenfalls verringert werden?
Um die Strahlenexposition durch bergbaubedingte Umweltradioaktivität bewerten zu können, hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) 2010 "Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Strahlenexposition infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität (Berechnungsgrundlagen - Bergbau" [1] zur Verfügung gestellt. Für das Themenfeld "Rückstände mit erhöhter natürlicher Radioaktivität" ("Naturally Occurring Radioactive Materials", abgekürzt "NORM") werden derzeit vergleichbare Berechnungsverfahren erarbeitet.
Die im Folgenden aufgeführten Empfehlungen zur vereinfachten Dosisabschätzung ersetzen nicht die geplanten Berechnungsgrundlagen NORM. Die hier aufgeführten Rechenvorschriften sind vielmehr aus bisher veröffentlichten Werken zur Abschätzung der Strahlenexposition [1], [2] zusammengestellt.
Mit dem Strahlenschutzgesetz und der überarbeiteten Strahlenschutzverordnung wurde der Strahlenschutz in Deutschland zum 31.12.2018 neu geregelt. In Anlage 3 des Strahlenschutzgesetzes des Strahlenschutzgesetzes sind Arbeitsfelder aufgeführt, bei denen für Beschäftigte eine Strahlenexpositionen durch natürliche Radionuklide oberhalb von einem Millisievert pro Jahr auftreten können. Für dort genannte Arbeitsplätze ist eine Dosisabschätzung verpflichtend.
Für Arbeitsfelder mit einer erhöhten Exposition durch eine Inhalation von Radon wurden separate Regelungen getroffen. Diese Arbeitsplätze sind in Anlage 8 des Strahlenschutzgesetzes aufgeführt.
Darüber hinaus können Beschäftigte anderer Arbeitsgebiete beim Umgang mit NORM-Stoffen (zum Beispiel Rückstände nach Anlage 1 des Strahlenschutzgesetzes einer erhöhten Strahlenexposition ausgesetzt sein. Falls Beschäftige an mehreren Arbeitsplätzen mit NORM-Stoffen in Kontakt kommen, ist die effektive Dosis an allen exponierten Arbeitsplätzen einzeln zu ermitteln. Für die Gesamtbewertung ist die Summe der Effektivdosen entscheidend.
Betriebliche Strahlenexposition
Abschätzung der Strahlenexposition aus der spezifischen Aktivität
Die Strahlenexposition für Beschäftigte kann prinzipiell anhand von Modellen aus der spezifischen Aktivität von Rückständen bestimmt werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat hierfür eine vereinfachte Berechnungsvorschrift zur Ermittlung der effektiven Jahresdosis veröffentlicht [2]. Das Modell berücksichtigt
- die äußere Strahlenexposition infolge des Aufenthaltes unmittelbar neben einer großen aufgeschütteten Materialmenge,
- die Inhalation von Staub bei einer Staubkonzentration von 10 Milligramm pro Kubikmeter und
- die unbeabsichtigte Ingestion von 6 Milligramm Staub pro Arbeitsstunde.
Zudem wird angenommen, dass Uran- 238 und Uran-235 im natürlichen Isotopenverhältnis vorkommen und diese Radionuklide sowie das Thorium-232 im radioaktiven Gleichgewicht mit ihren Zerfallsprodukten stehen. Wenn bei Rückständen das radioaktive Gleichgewicht gestört ist, wird für eine konservative Dosisabschätzung die höchste spezifischen Aktivität innerhalb der Uran-238- und Thorium-232-Zerfallskette verwendet. Die effektive Jahresdosis E in Millisievert lässt sich nach [2] mit Gleichung 1 berechnen:
Ist im Ergebnis der Wert für E größer als 1 Millisievert, ergibt sich nicht zwingend eine erhöhte Strahlenexposition für Beschäftigte. Vielmehr ist eine ausführliche Expositionsabschätzung über alle Expositionspfade mit realistischen Parametern (zum Beispiel Nuklidverhältnisse, Staubkonzentration in der Luft, Aufenthaltszeiten) durchzuführen.
Abschätzung der Strahlenexposition durch äußere Gammastrahlung
Die Strahlenexposition durch äußere Gammaexposition kann anhand sogenannter Personendosimeter direkt bestimmt werden. Geeignete Messstellen bieten diese Geräte an und werten die Ergebnisse der Messungen aus. Eine andere Möglichkeit, die Strahlenexposition durch äußere Gammastrahlung zu bestimmen, ist die Messung der Umgebungsäquivalentdosisleistung Ḣ*(10) (hier: Ortsdosisleistung pro Zeiteinheit) mit geeigneten Messgeräten sowie die Ermittlung der tatsächlichen Aufenthaltszeit am exponierten Arbeitsplatz. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) veröffentlicht die Bezeichnungen aller Geräte mit einer Bauartzulassung (Voraussetzung für die Eichfähigkeit) auf ihrer Internetseite.
Aus der gemessenen Umgebungsäquivalentdosisleistung ergibt sich die jährliche effektive Dosis E in Millisievert nach [1] aus der Gleichung 2.
Abschätzung der Strahlenexposition durch Inhalation von Staub
Der Expositionspfad "Inhalation von Staub"
ist nur beim Umgang mit oder beim Arbeiten in der Nähe von trockenen Rückständen zu berücksichtigen. Bei feuchten Rückständen ist die Möglichkeit für eine Staubbildung vernachlässigbar.
Bei manchen Rückständen sind die Radionuklide nicht gleichmäßig im Rückstand verteilt. So ist zum Beispiel in Filterkiesen aus der Wasseraufbereitung der Radionuklidgehalt in den aufgewachsenen Krusten um ein Mehrfaches größer als im Gesamtrückstand. In solchen Fällen muss der Radionuklidgehalt im Staub gesondert ermittelt werden. Eine Expositionsabschätzung zur radiologischen Bewertung von NORM-Stoffen ist grundsätzlich nuklidspezifisch durchzuführen. Die jährliche effektive Dosis wird dann mithilfe der Gleichung 3 abgeschätzt:
Die Aktivitätskonzentration in der Atemluft (in Becquerel pro Kubikmeter) kann aus der Staubkonzentration (in Gramm pro Kubikmeter) und dem Radionuklidgehalt des Materials (in Becquerel pro Gramm) in guter Näherung bestimmt werden. Für die Ermittlung der Staubkonzentration empfehlen Institutionen wie das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit verschiedene geeignete Messmethoden.
Abschätzung der Strahlenexposition durch Inhalation von Radon und dessen Zerfallsprodukten
Vor allem an wenig belüfteten Arbeitsplätzen in Gebäuden sind Beschäftigte häufig einer Strahlenexposition durch die Inhalation von Radon-222 und dessen kurzlebigen Zerfallsprodukten ausgesetzt. Die für die Dosis entscheidende Größe ist die potenzielle Alpha-Energie-Exposition (Zeitintegral der potenziellen Alpha-Energie-Konzentration). Ersatzweise lässt sich die effektive Dosis auch aus Werten der Radon-222-Konzentration, des Gleichgewichtsfaktors und der Aufenthaltszeit abschätzen (vergleiche [2] für eine Auflistung geeigneter Verfahren).
Die jährliche effektive Dosis kann nach [1] sowohl auf der Grundlage der potenziellen Alpha-Energie-Exposition kurzlebiger Radon-222-Zerfallsprodukte (Gleichung 4) als auch der Radon-222-Exposition und des Gleichgewichtsfaktors (Gleichung 5) abgeschätzt werden:
Abschätzung der Strahlenexposition durch Direktingestion von NORM-Stoffen
Der Expositionspfad "Direktingestion"
berücksichtigt die unbeabsichtigte Ingestion von Staub aus NORM-Stoffen während der Arbeitszeit. Dabei ist die Expositionsabschätzung grundsätzlich nuklidspezifisch durchzuführen. Die Berechnung der jährlichen effektiven Dosis erfolgt dann nach [1] mit Hilfe von Gleichung 6.
Strahlenexposition der Bevölkerung
Bei der Verwertung von NORM-Rückständen können auch Personen der allgemeinen Bevölkerung einer zusätzlichen Strahlenbelastung ausgesetzt sein. Die für die berufliche Exposition aufgeführten Expositionspfade
- Inhalation von Staub,
- Inhalation von Radon,
- unbeabsichtigte Direktingestion von NORM-Stoffen und
- äußere Exposition durch Gammastrahlung
sind auch bei der Abschätzung der Strahlenexposition für die Bevölkerung zu berücksichtigen.
Für einige Expositionspfade sind jedoch altersabhängige Parameter zu verwenden (siehe dazu die "Berechnungsgrundlagen Bergbau"
[1]). Zusätzlich kann für die Bevölkerung auch der sogenannte Wasserpfad von Bedeutung sein. Dieser ist bei der Verwertung oder Deponierung immer dann zu berücksichtigen, wenn mit dem Regenwasser Radionuklide aus dem Rückstand herausgelöst werden und mit dem Sickerwasser ins Grundwasser gelangen. Ein Beispiel hierfür ist die Verwertung im Landschaftsbau.
Wird aus einem (Privat-)Brunnen des beeinträchtigten Grundwasserleiters Wasser - zu Trinkwasserzwecken oder auch zur Bewässerung lokal erzeugter Lebensmittel (Gemüse, Obst oder auch Weideflächen) - genutzt, können sich unter ungünstigen Umständen für die Allgemeinbevölkerung größere Expositionen als bei den Beschäftigten ergeben.
Abschätzung der Strahlenexposition durch Ingestion von lokal erzeugten Lebensmitteln
Beim Expositionsszenario "Ingestion von lokal erzeugten Lebensmitteln"
geht man davon aus, dass das gesamte benötigte Trinkwasser aus einem häuslichen Brunnen kommt, der 20 Meter von einer NORM-Ablagerung entfernt ist. Zudem werden Pflanzen und Tiere für den Eigenbedarf mit diesem Wasser versorgt. Weiterhin setzt dieses Modell voraus, dass die Hälfte aller verzehrten Lebensmittel vor Ort erzeugt wird. Die "Berechnungsgrundlagen Bergbau"
[1] beschreiben ausführlich, wie die Strahlenexposition durch lokal erzeugte Lebensmittel berechnet wird. Die Gleichung 7 zeigt, welche Lebensmittel zur Gesamtdosis beitragen können:
Für eine Erstbewertung, ob über den Wasserpfad eine relevante Strahlenexposition zu befürchten ist, kann anhand von Laborversuchen die Freisetzbarkeit von Radionukliden aus NORM-Stoffen mit Wasser ermittelt werden. In Anlehnung an die aktuellen Entwicklungen im Bodenschutzrecht ist hierfür ein normiertes Prüfverfahren (zum Beispiel DIN 19529) anzuwenden [3]. Das Wasser-zu-Feststoff-Verhältnis sollte dabei möglichst 2:1 betragen.
Da die ungünstigste Einwirkungsstelle im Strahlenschutz der Brunnen zur Grundwasserentnahme aus einem nutzbaren Grundwasserleiter ist, wird beim Eintrag von Radionukliden durch das Sickerwasser eine Verdünnung im Grundwasser berücksichtigt. Die in der wässrigen Lösung aus dem Laborversuch ermittelte Aktivitätskonzentration kann somit für eine Erstbewertung als oberer Wert der Brunnenwasserkonzentration eingesetzt werden.
Strahlenschutzmaßnahmen
Betrieblicher Strahlenschutz
Nach dem "ALARA-Prinzip" ist die Strahlenexposition für Beschäftigte unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich zu halten. Bei Arbeiten mit NORM-Stoffen kann - unter Beachtung gängiger Vorschriften zum Arbeitsschutz - die Strahlenexposition über die Inhalation von Staub und die unbeabsichtigte Aufnahme von kontaminiertem Material nahezu vollständig vermieden werden.
Die Gleichungen (1) bis (6) zeigen, dass die jährliche effektive Dosis linear von den relevanten Größen, wie der spezifischen Aktivität im Rückstand, der Staubkonzentration oder der Aufenthaltszeit am exponierten Arbeitsplatz abhängt. Die Strahlenexposition für Beschäftigte lässt sich daher durch folgende Maßnahmen verringern:
- Verwertung von Rückständen mit möglichst geringer spezifischen Aktivität,
- Identifizierung der Hauptquellen für eine Staubentwicklung, Überprüfung der Wirksamkeit von Schutzeinrichtungen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Vermeidung von Staubfreisetzungen,
- Überprüfung und Optimierung der Arbeitszeiten an den exponierten Arbeitsplätzen,
- Verwendung individueller Schutzausrüstung.
Inwieweit die einzelnen Maßnahmen umsetzbar sind, hängt natürlich von der jeweiligen betrieblichen Situation ab.
Bewertung der Strahlenexposition der Bevölkerung
Ist in der Summe aller Expositionspfade inklusive des Wasserpfades eine Überschreitung des Dosisrichtwertes von 1 Millisievert pro Jahr nicht zu befürchten, kann die Verwertung beziehungsweise Deponierung auf dem geplanten Weg erfolgen.
Liegt im Ergebnis der vereinfachten Dosisabschätzung eine Überschreitung des Dosisrichtwertes vor, ist nicht zwingend eine erhöhte Exposition gegeben. Vielmehr ist das Ergebnis anhand einer standortspezifischen Expositionsabschätzung zu präzisieren. Beispielsweise empfiehlt sich für den Wasserpfad eine detaillierte Untersuchung zum Radionuklidtransport in Sicker- und Grundwasser. Ein Hilfsmittel dazu ist der "Leitfaden des Bundesamtes für Strahlenschutz zur Untersuchung und Bewertung bergbaulicher Altlasten".
Falls das Ergebnis der standortspezifischen Expositionsabschätzung den Dosisrichtwert von 1 Millisievert pro Jahr als Summe aller Expositionspfade weiterhin überschreitet, ist eine Verwertung auf dem geplanten Weg nicht möglich. In diesem Fall müssen andere Verwertungs- oder Entsorgungsmöglichkeiten geprüft werden.
Literatur:
[1] BfS (2010): Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Strahlenexposition infolge bergbaubedingter Umweltradioaktivität (Berechnungsgrundlagen - Bergbau)
[2] Beck, T., Ettenhuber, E. (2006): Überwachung von Strahlenexpositionen bei Arbeiten Leitfaden für die Umsetzung der Regelungen nach Teil 3 Kapitel 1 und 2 der StrlSchV, BfS-SW-03/06, ISSN 1611-8723
[3] DIN 19529:2009-01:Titel: Elution von Feststoffen - Schüttelverfahren zur Untersuchung des Elutionsverhaltens von anorganischen Stoffen mit einem Wasser/Feststoff-Verhältnis von 2 l/kg. Beuth-Verlag, Berlin
Stand: 11.04.2024