Navigation und Service

Biologische Dosimetrie nach einer Strahlenexposition

  • Biologische Dosimetrie ist eine international anerkannte Methode, um nach einer vermuteten übermäßigen Strahlenbelastung diese zu quantifizieren und eine Dosis abzuschätzen.
  • Eine biologische Dosisabschätzung kann als Ergänzung zur physikalischen Dosimetrie oder auch als unabhängige Methode allein durchgeführt werden.
  • Weltweit anerkannte Techniken zur Erfassung von akuten Strahlenschäden sind die Analyse von dizentrischen Chromosomen und von Mikrokernen in den Lymphozyten des peripheren Blutes.
  • Im Falle einer länger (mehrere Jahre) zurückliegenden Strahlenexposition werden sogenannte symmetrische Chromosomentranslokationen als Marker verwendet, die mit einer speziellen Technik ("FISH"-Technik - Fluoreszenz in situ Hybridisierung) als zweifarbige Chromosomen sichtbar gemacht werden.
  • Im Referenzlabor für biologische Dosimetrie des BfS in München/Neuherberg kann - unter bestimmten Voraussetzungen - eine Dosisabschätzung bei überexponierten oder vermutlich überexponierten Personen mittels biologischer Indikatoren vorgenommen werden.

Biologische Dosimetrie ist eine international anerkannte Methode, um nach einer vermuteten übermäßigen Strahlenbelastung diese zu quantifizieren und eine Dosis abzuschätzen. Im Gegensatz zu physikalischen Methoden erfasst man bei der biologischen Dosimetrie nicht die Dosis selbst. Stattdessen wird untersucht, wie diese Strahlendosis auf Zellebene wirkt. Die biologische Dosimetrie berücksichtigt die interindividuellen Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit bei der Beurteilung der Strahleneffekte im Menschen.

Eine biologische Dosisabschätzung ist in Ergänzung zur physikalischen Dosimetrie möglich. Falls keine physikalische Dosimetrie verfügbar ist, kann sie auch als unabhängige Methode allein durchgeführt werden. Dafür verwenden Wissenschaftler bestimmte biologische "Marker", die nach Einwirkung ionisierender Strahlung wie Fingerabdrücke in Blutzellen nachgewiesen werden können. Besonders gut eignen sich Veränderungen, die an Chromosomen im Zellkern auftreten, sogenannte zytogenetische Marker.

Methoden der biologischen Dosimetrie Biologische Dosimetrie: MethodenEtablierte Methoden in der biologischen Dosimetrie zum Nachweis einer Strahlenbelastung

Weltweit anerkannte Techniken zur Erfassung von akuten Strahlenschäden sind die Analyse von dizentrischen Chromosomen und von Mikrokernen in den Lymphozyten des peripheren Blutes. Dizentrische Chromosomen sind das Ergebnis einer fehlerhaften Reparatur von Chromosomenbrüchen in zwei verschiedenen Chromosomen. Sie haben zwei Zentromere und nicht wie ungeschädigte Chromosomen nur eines. Mikrokerne beinhalten einzelne Chromosomen oder Chromosomenfragmente, die während der Zellteilung nicht auf die Tochterkerne verteilt werden. Sie sind von einer Kernmembran umgeben.

Im Falle einer länger (mehrere Jahre) zurückliegenden Strahlenexposition werden sogenannte symmetrische Chromosomentranslokationen als Marker verwendet. Sie besitzen wie ungeschädigte Chromosomen nur ein Zentromer. Die sogenannten symmetrischen Translokationen können mit einer speziellen Technik ("FISH"-Technik - Fluoreszenz in situ Hybridisierung) als zweifarbige Chromosomen sichtbar gemacht werden.

Konventionelle Chromosomenanalyse

Das dizentrische Chromosom gilt derzeit als zuverlässigster und empfindlichster biologischer Indikator für eine akute, nicht lange zurückliegende Exposition mit ionisierender Strahlung.

Dizentrische Chromosomen treten spontan sehr selten auf (rund 1 dizentrisches Chromosom in 1000 Zellen) und ihre Entstehung ist äußerst charakteristisch für die Einwirkung ionisierender Strahlung. Um die Methode anzuwenden und gegebenenfalls eine Dosis abzuschätzen, wird zuerst die Häufigkeit dizentrischer Chromosomen in der Blutprobe bestimmt. Mithilfe von Dosiswirkungskurven, auch Kalibrierkurven genannt, schätzt man anschließend die Dosis ab. Dieses Verfahren ist für einen Dosisbereich zwischen 0,1 bis ca. 5 Gy anwendbar.

Für eine individuelle Dosisrekonstruktion werden am BfS in der Regel 1000 Zellen ausgewertet. Die Methode gilt international als "Goldstandard" der biologischen Dosimetrie. Da die Zellen mit dizentrischen Chromosomen bei der Zellteilung etwa zur Hälfte verloren gehen, eignet sich dieser Marker allerdings nicht zur Dosisbestimmung einer länger zurückliegenden Strahlenexposition.

Mikrokernanalyse

Die Bestimmung von Mikrokernen kann, wie die Analyse dizentrischer Chromosomen, im Fall einer akuten Strahlenbelastung eingesetzt werden. Da diese Methode aber weniger strahlenspezifisch und weniger empfindlich ist als eine konventionelle Chromosomenanalyse, wird sie am BfS für die Dosisabschätzung nach Strahlenunfällen nicht routinemäßig angewendet.

Der Vorteil der Methode liegt in der relativ unkomplizierten Auswertung und schnelleren Erlernbarkeit der Technik. Der Dosisbereich, in dem der Mikrokern-Test in Lymphozyten anwendbar ist, erstreckt sich in der Routine von etwa 0,3 bis 5 Gray.

Die Nachteile der Methode gegenüber der konventionellen Chromosomenanalyse liegen in der relativ großen intra- und inter-individuellen Variabilität hinsichtlich der Häufigkeit der Mikrokerne. Das bedeutet, dass es zwischen unterschiedlichen Personen und auch in derselben Person zu unterschiedlichen Zeiten zu deutlichen Schwankungen in der Anzahl der Mikrokerne kommt, auch ohne die Einwirkung von Strahlung. Zudem sind Mikrokerne weniger spezifisch für Strahlung, da auch chemische Schadstoffe die Häufigkeit beeinflussen können. Die spontane Häufigkeit von Mikrokernen liegt ebenfalls höher und hat somit einen Einfluss auf die Empfindlichkeit der Methode.

FISH-Analyse (Fluorescence in situ Hybridisierung)

Die Analyse symmetrischer Translokationen ist weniger strahlenspezifisch und weniger empfindlich als die konventionelle Analyse dizentrischer Chromosomen. Allerdings ermöglicht diese Technik auch noch Jahre nach einer Strahlenexposition deren Nachweis. Voraussetzung dafür ist, dass das blutbildende System exponiert wurde. Dies ist dadurch begründet, dass vom blutbildenden System Zellen mit symmetrischen Translokationen - im Gegensatz zu Zellen mit dizentrischen Chromosomen - oftmals mit nur geringem Verlust nachgebildet werden können. Sie können gegebenenfalls auch noch nach Jahren als Strahlenmarker nachgewiesen und zur Dosisabschätzung eingesetzt werden. Dies gilt auch für den Fall einer chronischen Strahlenbelastung, die sich über einen langen Zeitraum hinzieht. Zu berücksichtigen ist die Zunahme der symmetrischen Translokationen mit zunehmendem Alter und in Abhängigkeit vom Lebensstil (z.B. Rauchen).

Für eine individuelle Dosisrekonstruktion werden am BfS in der Regel 3000 Zellen ausgewertet. Die Nachweisgrenze liegt aufgrund der oben genannten Einflussgrößen bei dieser Methode bei etwa 0,3 bis 5 Gray.

Biologische Dosimetrie am Bundesamt für Strahlenschutz

Am BfS in München/Neuherberg ist das Referenzlabor für biologische Dosimetrie in Deutschland angesiedelt. Hier kann - unter bestimmten Voraussetzungen - eine Dosisabschätzung bei überexponierten oder vermutlich überexponierten Personen mittels biologischer Indikatoren vorgenommen werden. Dabei setzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geeignete Methoden wie die Analyse von Chromosomenaberrationen oder die Mikrokernanalyse ein. Diese Testverfahren werden an Lymphozyten aus dem zirkulierenden Blut durchgeführt und haben sich im Routineeinsatz bewährt.

Die Lymphozyten im Blut haben einen wesentlichen Vorteil gegenüber anderen Zellsystemen: Sie zirkulieren im gesamten Körper und befinden sich, im Gegensatz zu vielen anderen Gewebezellen, alle zum Zeitpunkt der Bestrahlung wie auch der Blutentnahme im gleichen Zellzyklusstadium, d.h. sie besitzen die gleiche Menge an DNA. Dieser Umstand führt dazu, dass der Schädigungstyp an den Chromosomen gleich ist.

Die Häufigkeit der zytogenetischen Schäden ändert sich innerhalb der ersten Wochen nach einer Strahlenbelastung in der Regel kaum. Zytogenetische Untersuchungen an Blutzellen aus Blutproben der Armvene, die zur Analyse der Chromosomen genommen werden, zeigen die Strahlenbelastung des gesamten Körpers zum Zeitpunkt der Blutentnahme. Zudem sind die Entnahme und der Transport der Proben unter Bedingungen des Alltags unproblematisch. Im Falle einer länger zurückliegenden Strahlenexposition kann unter bestimmten Umständen mit Hilfe bestimmter stabiler Chromosomenaberrationen ebenfalls eine Dosis abgeschätzt werden.

Dosisabschätzung

Liegt die Häufigkeit der beobachteten zytogenetischen Schäden statistisch abgesichert (signifikant) über dem Kontrollwert (spontane Häufigkeit), werden Dosiswirkungskurven für die biologische Dosisabschätzung verwendet. Mit deren Hilfe lässt sich die Häufigkeit eines Strahlenmarkers einer Dosis zuordnen bzw. quantifizieren. Der Kurvenverlauf hängt dabei von der Qualität der Strahlung, dem biologischem Endpunkt, hier also dizentrisches Chromosom, symmetrische Translokation oder Mikrokern, und davon ab, ob der ganze Körper oder nur ein Teil des Körpers strahlenexponiert wurde. Um die Dosis eindeutig ermitteln zu können, müssen daher Erkenntnisse über die Qualität der Strahlung, der die Person ausgesetzt war, vorliegen. Ebenso muss bekannt sein, ob der ganze Körper bestrahlt wurde (Ganzkörperexposition) oder nur ein Teil (Teilkörperexposition). Bei biologischen Indikatoren, die altersabhängig sind, wie bei Mikrokernen oder symmetrischen Translokationen, müssen die Ergebnisse mit denen von Personen im gleichen Alter verglichen werden.

Das BfS verfügt über Dosiseffektkurven für verschiedene Strahlenqualitäten. Was die spontane Häufigkeit verschiedener Chromosomenschädigungen in der Bevölkerung betrifft, die sogenannte Kontrollrate, steht ebenfalls umfangreiches Datenmaterial zur Verfügung.

Was kann biologische Dosimetrie leisten?

Auswertemodus

Je nach Unfallsituation können unterschiedlich viele Personen einer erhöhten Strahlung ausgesetzt gewesen sein. Entsprechend unterscheidet sich auch die Vorgehensweise, mit der man bei einer Chromosomenanalyse versucht, die Dosis abzuschätzen. Dabei wird unterschieden zwischen "kleinen" und "großen" Strahlenunfällen.

Kleiner Strahlenunfall

Um die individuelle Dosis abzuschätzen, werden nach einer akuten, nicht lange zurückliegenden Exposition üblicherweise 500 bis 1000 Zellen ausgewertet und die Anzahl der dizentrischen Chromosomen ermittelt. Die untere Nachweisgrenze liegt hier für die Chromosomen-Analyse bei 0,1 Gy homogener Ganzkörperbestrahlung und für den Mikrokern-Test bei 0,3 Gy. Die Analyse symmetrischer Translokationen wird bei einer akuten Strahlenexposition dagegen nicht angewendet.

Großer Strahlenunfall

Im Falle eines großen Strahlenunfalls mit mehreren hundert betroffenen Personen kann die biologische Dosimetrie ebenfalls einen wertvollen Beitrag zur Dosisabschätzung leisten. Hier wird zunächst eine schnelle, vorläufige Dosisabschätzung durchgeführt, um stark bestrahlte Personen, die einer Behandlung bedürfen von schwach oder kaum bestrahlten Personen, die nicht unmittelbar behandelt werden müssen, zu unterscheiden.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Auswertung von 30 bis 50 Zellen ("Triage-Modus") ausreicht, um eine schnelle Klassifizierung von potentiell exponierten Personen durchzuführen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es festzustellen, ob Effekte wie Übelkeit, Schwindel oder Haarausfall durch eine erhöhte Strahlenbelastung oder durch andere Faktoren wie etwa psychischen Stress ausgelöst wurden. Im Bedarfsfall kann dann später die Anzahl der analysierten Zellen erhöht und in Einzelfällen die Dosis genauer abgeschätzt werden.

Wann sollte eine Biologische Dosimetrie durchgeführt werden?

Vorgehen bei der biologischen Dosimetrie Biologische Dosimetrie: VorgehenVorgehensweise zur Durchführung der biologischen Dosimetrie nach Bestrahlung

Vor einer Blutentnahme sollte die betreffende Person beziehungsweise der behandelnde Arzt oder Ärztin unbedingt mit dem BfS Kontakt aufnehmen. Geklärt werden sollte, wie die vermutete erhöhte Strahlenbelastung zustande kam und ob die Durchführung der biologischen Dosimetrie aus fachlicher Sicht gerechtfertigt erscheint. Folgende Punkte sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Welche Hinweise auf eine vermutete Strahlenexposition gibt es?
  • Was ist über die vermutete Art der Strahlenexposition bekannt
    (zum Beispiel Strahlenquelle, Dosisleistung, Abstand zur Quelle, Dauer der Exposition etc.)?
  • Ist eine Ganzkörperexposition von mehr als 0,1 Gray zu erwarten?
  • Lässt sich die Exposition mit anderen Verfahren (Inkorporationsmesssung oder Ausscheidungsanalyse) besser nachweisen?
  • Wie lange liegt die Strahlenbelastung zurück?
Stand: 18.09.2020

Seiteninformationen und -Funktionen