Kinderkrebs und Kernkraftwerke

Seit die Nutzung der Kernenergie als problematisch gesehen wird, gibt es Diskussionen um erhöhte Krebsraten in der Umgebung von Atomkraftwerken. 1987 und 1989 berichteten beispielsweise britische Studien von einem statistisch signifikant gehäuften Auftreten kindlicher Leukämien im Zehn-Meilen-Umkreis um kerntechnische Anlagen in England und Wales. 1992 wurde in einer analog durchgeführten ökologischen Studie des Deutschen Kinderkrebsregisters (DKKR) für den Zeitraum 1980 bis 1990 bei Kindern unter fünf Jahren in der Fünf-Kilometer-Zone beobachtet, dass die Erkrankungsrate für Leukämien statistisch signifikant erhöht ist. Da diese Ergebnisse sehr kontrovers diskutiert wurden und zeitgleich eine statistisch signifikante Häufung von Leukämien in der Umgebung des Kernkraftwerks Krümmel auftrat, wurde 1997 eine zweite ökologische Studie mit Daten aus dem an die erste Studie anschließendem Zeitraum (1991-1995) veröffentlicht, die erneut vom DKKR durchgeführt wurde. Mit der sogenannten KiKK-Studie – einer Fall-Kontroll-Studie - wurde der in diesen beiden ökologischen Studien gefundene Zusammenhang genauer untersucht.

Seit die Nutzung der Kernenergie als problematisch gesehen wird, gibt es Diskussionen um erhöhte Krebsraten in der Umgebung von Atomkraftwerken. 1987 und 1989 berichteten beispielsweise britische Studien von einem statistisch signifikant gehäuften Auftreten kindlicher Leukämien im Zehn-Meilen-Umkreis um kerntechnische Anlagen in England und Wales. 1992 wurde in einer analog durchgeführten ökologischen Studie des Deutschen Kinderkrebsregisters (DKKR) für den Zeitraum 1980 bis 1990 bei Kindern unter fünf Jahren in der Fünf-Kilometer-Zone beobachtet, dass die Erkrankungsrate für Leukämien statistisch signifikant erhöht ist. Da diese Ergebnisse sehr kontrovers diskutiert wurden und zeitgleich eine statistisch signifikante Häufung von Leukämien in der Umgebung des Kernkraftwerks Krümmel auftrat, wurde 1997 eine zweite ökologische Studie mit Daten aus dem an die erste Studie anschließendem Zeitraum (1991-1995) veröffentlicht, die erneut vom DKKR durchgeführt wurde. Mit der sogenannten KiKK-Studie – einer Fall-Kontroll-Studie - wurde der in diesen beiden ökologischen Studien gefundene Zusammenhang genauer untersucht.

Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken – KiKK-Studie

Das Deutsche Kinderkrebsregister in Mainz führte im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz von 2003 bis 2007 die Studie Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie) durch.

Die Fall-Kontroll-Studie beschäftigte sich mit der Frage, ob Kinder unter fünf Jahren, die in der Umgebung von Kernkraftwerken wohnen, häufiger an Krebs erkranken als Gleichaltrige aus anderen Gebieten. Zwei vorangegangene ökologische Studien hatten bereits die Erkrankungshäufigkeit in Regionen um einen Reaktor mit der von Vergleichsregionen ohne Reaktor verglichen. Die Ergebnisse dieser Studien ließen einen Zusammenhang zwischen dem Wohnort und dem Auftreten von Krebs bei Kindern unter fünf Jahren vermuten. Mit der KiKK-Studie wurde dieser Zusammenhang genauer untersucht.

Eine Erläuterung der verschiedenen Studientypen finden Sie in dem Artikel Epidemiologie strahlenbedingter Krankheiten.

Das Ergebnis

Es zeigte sich im Nahbereich um deutsche Kernkraftwerke bei Kindern unter 5 Jahren ein signifikant erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken. Dieser Befund beruhte im Wesentlichen auf dem Erkrankungsrisiko für Leukämien, wobei hier das Erkrankungsrisiko in etwa verdoppelt war. In Zahlen bedeutet dies, dass im 5-Kilometer-Umkreis um alle Standorte von Kernkraftwerken in Deutschland im Mittel nicht, wie zu erwarten wäre, etwa 1 Kind pro Jahr erkrankt, sondern dass die Krankheit jedes Jahr bei etwa 2 Kindern diagnostiziert wird.

Aus den Ergebnissen lässt sich keine sichere Aussage darüber ableiten, ob die von den Leistungsreaktoren ausgehende Radioaktivität kausal mit den erhöhten Erkrankungsraten zusammenhängt. Die tatsächliche individuelle Strahlenbelastung der Kinder wurde in der Studie nicht erfasst, da dies praktisch nicht möglich ist. Der Abstand des Wohnortes zu einem Reaktor wurde als Ersatz für die Strahlenbelastung verwendet. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand ist die resultierende Strahlenbelastung der Bevölkerung allein zu niedrig, um den beobachteten Anstieg des Krebsrisikos zu erklären. Es ist ebenfalls unwahrscheinlich, dass andere in den Untersuchungen betrachtete mögliche Verursacher jeweils allein den Befund erklären können.

Es gibt somit derzeit keine plausible Erklärung für den festgestellten Effekt, der über die 24 Jahre Untersuchungszeitraum ein insgesamt konsistentes Bild mit kleinen Schwankungen zeigt. Denkbar ist ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen. Die Interaktion verschiedener Faktoren und die grundsätzlichen Entstehungsmechanismen von Leukämien bei Kindern bilden daher die Schwerpunkte der derzeit laufenden Forschungsarbeiten.

Das Ergebnis der KiKK-Studie hat dazu geführt, dass auch in anderen Ländern – Großbritannien, Frankreich, Belgien, Schweiz, Finnland, USA - entsprechende Studien durchgeführt wurden.

Ausführliche Beschreibung der Studie

Fragestellung

Die Studie hatte drei Fragestellungen:

Zur Beantwortung der Fragen untergliederte sich die Studie in zwei Teile:

Eine Untergruppe aus dem ersten Teil der Studie wurde zu möglichen anderen Einflussfaktoren befragt wie etwa zusätzliche Strahlenbelastung (zum Beispiel durch Röntgenuntersuchungen) oder spezifische Faktoren im Zusammenhang mit der immunologischen Situation des Kindes. Damit wollten die Forscher mögliche Störfaktoren berücksichtigen, die das im ersten Teil gefundene Ergebnis erklären könnten.

Studiendesign

Studienteilnehmer

Die Studie umfasste 1.592 an einem Krebs erkrankte und 4.735 nicht erkrankte Kinder (Kontrollen, siehe Infokasten) unter 5 Jahren. Die an einem Krebs erkrankten Kinder waren im Deutschen Kinderkrebsregister erfasst. Nach dem Zufallsprinzip wurden zu jedem erkrankten Kind über die Einwohnermeldeämter drei nicht erkrankte Kinder aus der Umgebung der Kernkraftwerke ermittelt. Alter, Geschlecht und Lebensumstände der nicht erkrankten Kinder entsprachen weitestgehend denen der erkrankten Kinder.

Untersuchte Landkreise

Untersucht wurden 41 Landkreise in der Umgebung der 16 Standorte der (west-)deutschen Kernkraftwerke mit insgesamt 22 Atomreaktoren, für die Daten aus dem Kinderkrebsregister vorlagen.

Betrachtet wurde jeweils

  • der Landkreis, in dem sich der Reaktor befindet,
  • der zum Reaktor nächstgelegene Nachbarlandkreis und
  • der nächste östlich gelegene Landkreis (wegen der in Deutschland allgemein vorherrschenden Westwinde).

Abstand Wohnort - Kernkraftwerk

Bei den vorangegangenen beiden ökologischen Studien waren die Erkrankungshäufigkeiten in unterschiedlichen Regionen miteinander verglichen worden, nämlich die Häufigkeit von Erkrankungen im Umkreis von

  • bis 5,
  • bis 10 und
  • bis 15 Kilometer

Abstand von einem Kernkraftwerk mit der Häufigkeit von Erkrankungen in ausgewählten Vergleichsregionen in Deutschland.

Für die KiKK-Studie konnte der Abstand des Wohnortes zum Kernkraftwerk für jedes Kind auf 25 Meter genau angegeben werden - sowohl für die erkrankten als auch für die nicht erkrankten Kinder. Die Forscher betrachteten bei den erkrankten Kindern den Wohnort zum Zeitpunkt der Diagnose. Für die dem kranken Kind zugeordneten nicht erkrankten Kinder wurde dementsprechend der gleiche Zeitpunkt gewählt.

Ergebnisse der Studie

Erhöhtes Risiko im NahbereichEinklappen / Ausklappen

Die Studie ergab einen eindeutigen Abstandstrend im Nahbereich. Das heißt, das Risiko, an einem Tumor oder Leukämie zu erkranken, stieg mit der Nähe des Wohnortes zu einem Reaktor an. Im 5-Kilometer-Umkreis um die Reaktoren wurde im Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2003 festgestellt, dass 37 Kinder neu an Leukämie erkrankt sind. Im statistischen Durchschnitt wären 17 erkrankte Kinder zu erwarten gewesen.

Für Tumoren des zentralen Nervensystems wurde ein umgekehrter Zusammenhang (zunehmendes Risiko mit zunehmendem Abstand) und für embryonale Tumoren kein Zusammenhang zwischen dem Erkrankungsrisiko und der Nähe des Wohnortes zu einem Kernkraftwerk festgestellt.

Weitere Analysen ergaben, dass der Abstandstrend für Leukämien nur dann zu beobachten ist, wenn der 5-Kilometer-Umkreis in die Analyse mit einbezogen wird, das heißt in einem Abstand größer als 5 Kilometer ist der Trend nicht zu beobachten. Der insgesamt für die gesamte Umgebungsregion beobachtete Abstandstrend beruht also statistisch gesehen auf dem erhöhten Erkrankungsrisiko im 5-Kilometer-Umkreis. Ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko zeigt sich allerdings auch, wenn der Nahbereich von 5 Kilometer auf 10 Kilometer ausgedehnt wird, wobei dieser Befund wesentlich durch den Befund des 5-Kilometer-Umkreises bestimmt wird.

Zwei Studienzeiträume – unterschiedlicher Abstandstrend?Einklappen / Ausklappen

Die KiKK-Studie erfasste den Zeitraum von 1980-2003, unterteilt in zwei Studienzeiträume: die ersten 11 Jahre des Betriebs eines Leistungsreaktors und die restlichen Jahre.

Die vorangegangenen Studien waren zu dem Ergebnis gekommen, dass das Risiko an Krebs oder Leukämie zu erkranken in den ersten 11 Betriebsjahren eines Reaktors höher war als in den restlichen. Entsprechend wurde in der KiKK-Studie auch gefragt, ob sich ein gegebenenfalls zu findender Abstandstrend zwischen dem früheren und dem späteren Zeitraum unterscheidet.

Für den ersten Zeitraum ergab sich ein deutlicherer Abstandstrend als im zweiten Studienzeitraum. Allerdings war der Unterschied statistisch nicht signifikant.

Betrachtung weiterer RisikofaktorenEinklappen / Ausklappen

Das Ziel des 2. Teils der Studie, der eine Befragung beinhaltete, war es, weitere Risikofaktoren mit einzubeziehen, von denen ein Zusammenhang mit dem Krebsrisiko bekannt ist oder vermutet wird (zum Beispiel Geburtsgewicht des Kindes, Faktoren der Schwangerschaft, Pestizidbelastung). Je näher die für die Studie in Frage kommenden Personen am Kernkraftwerk wohnten, umso geringer war aber deren Bereitschaft, am zweiten Teil der Studie teilzunehmen. Daher können die Ergebnisse des zweiten Teils nicht für die Interpretation des ersten Teils der Studie herangezogen werden. Dennoch wurde überprüft, ob die Berücksichtigung der in Teil 2 erhobenen Risikofaktoren zu einer Änderung des beobachteten Abstandseffekts führt. Dies was nicht der Fall.

Die Studie liefert somit Hinweise auf mögliche Zusammenhänge zwischen der Erkrankung und der Nähe des Wohnorts betroffener Kinder zum nächstgelegenen Standort eines Kernkraftwerkes, aber keine Beweise. Der Befund gilt insbesondere für den 5-Kilometer-Umkreis.

Als alleinige Ursache sind die radioaktiven Ableitungen unwahrscheinlich. Ein Zusammenwirken mit anderen Ursachen bleibt aber denkbar, zumal sich Erklärungsversuche über andere Verursacher als wenig wahrscheinlich erwiesen. Weitere zielgerichtete Forschung zu den Ursachen kindlicher Leukämieerkrankungen ist somit notwendig.

Erklärungsversuche

Nach heutigem strahlenbiologischen Wissen kann die in der Studie ermittelte Risikoerhöhung im Nahbereich um die Kernkraftwerke durch deren radioaktive Emissionen alleine nicht erklärt werden.

Die für eine Erklärung erforderliche, zusätzliche Strahlenbelastung der Bevölkerung müsste deutlich höher sein als beobachtet. Daraus kann aber in der Umkehr nicht der Schluss gezogen werden, dass Strahlung als Ursache grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Auch andere denkbare und mit betrachtete Faktoren können den Anstieg des Krebsrisikos alleine nicht erklären.

Es gibt derzeit keine plausible Erklärung für den festgestellten Effekt. Auch eine 2022 veröffentlichte ökologische Studie, in der die Erkrankungshäufigkeiten in der Umgebung von im Jahr 2011 abgeschalteten Kernkraftwerken untersucht wurden, kann hierzu nicht wesentlich beitragen. In der Studie wurden Erkrankungsraten bei Kindern im Alter bis 14 Jahre, die im Umkreis von 10 km um ein Kernkraftwerk wohnten, mit denen von Kindern verglichen, die in einer Zone von 10 bis 50 km um das Kernkraftwerk wohnten. Die Erkrankungsraten im Umkreis von 10 km um das Kernkraftwerk waren tendenziell etwas höher als in der Vergleichsregion, und das Verhältnis dieser Erkrankungsraten war im Zeitraum 2012 bis 2019 tendenziell etwas geringer als im Zeitraum 2004 bis 2011.

Allerdings waren die Ergebnisse der Studie wegen der geringen Anzahl an Fällen sehr ungenau, sodass Zufallsschwankungen bei den beobachteten Unterschieden eine wichtige Rolle spielen können. Zudem war das Ergebnismuster der Studie nicht konsistent. So nahm das Verhältnis der Erkrankungsraten für die häufigste Form von Leukämien im Kindesalter (Lymphatische Leukämie) nach Abschalten der Reaktoren zu und nicht ab. Die insgesamt beobachtete Abnahme scheint daher nur auf akute myeloische Leukämie zurückzugehen. Für das Kernkraftwerk Krümmel, in dessen Umgebung lange Zeit ein Leukämie-Cluster beobachtet wurde, nahm die Erkrankungsrate für Leukämie nach Abschalten des Kernkraftwerks ebenfalls nicht ab, sondern stieg sogar an.

Denkbar ist, dass bei dem beobachteten Zusammenhang zwischen Krebsrisiko und Abstand des Wohnortes von einem Kernkraftwerk ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen eine Rolle spielt. Die Interaktion verschiedener Faktoren und die grundsätzlichen Entstehungsmechanismen von Leukämien bei Kindern bilden daher die Schwerpunkte der derzeit laufenden Forschungsarbeiten.

Stand: 24.01.2023

Zum Thema

Häufigkeit von Krebs bei Kindern in der Umgebung von Kernkraftwerken – Studien anderer Länder

Die Ergebnisse der KiKK-Studie zeigten ein signifikant erhöhtes Risiko von Kindern unter 5 Jahren, im Nahbereich um deutsche Kernkraftwerke an Krebs zu erkranken. Dieser Befund beruhte im Wesentlichen auf dem Erkrankungsrisiko für Leukämien, wobei hier das Erkrankungsrisiko in etwa verdoppelt war. In Zahlen bedeutet dies, dass im 5-km-Umkreis um alle Standorte von Kernkraftwerken in Deutschland im Mittel nicht, wie zu erwarten wäre, etwa 1 Kind pro Jahr erkrankt, sondern dass die Krankheit jedes Jahr bei etwa 2 Kindern diagnostiziert wird.

Was die Hypothese eines Einflusses der radioaktiven Abgaben angeht, lässt sich feststellen, dass nach derzeitigem Kenntnisstand die zusätzliche Strahlenbelastung der Bevölkerung durch den Betrieb der Leistungsreaktoren zu gering ist, um den Effekt erklären zu können. Sie müsste etwa 1.000 bis 10.000-mal höher sein. Daraus kann aber zunächst nur der Schluss gezogen werden, dass nach heutigem Wissen Strahlung als alleinige Ursache ausgeschlossen werden kann. Ein Zusammenspiel verschiedener Ursachen bleibt denkbar, da andere Verursacher alleine ebenfalls unwahrscheinlich sind. Es gibt derzeit keine plausible Erklärung für den festgestellten Effekt, der über die 24 Jahre Untersuchungszeitraum ein insgesamt konsistentes Bild mit kleinen Schwankungen zeigt.

Das Ergebnis der KiKK-Studie hat dazu geführt, dass auch in anderen Ländern – Großbritannien, Frankreich, Belgien, Schweiz, Finnland, USA - entsprechende Studien durchgeführt wurden.

Einschätzung

Die meisten größeren Studien zeigen ein in der Umgebung von Kernkraftwerken erhöhtes Risiko, wobei die Ergebnisse nicht immer statistische Signifikanz erreichen. Eine größere Studie aus dem Vereinigten Königreich ergab für die gesamten Umgebungsregionen und für alle untersuchten Altersklassen kein erhöhtes Risiko. Kleinere Untersuchungen aus Finnland zeigen ebenfalls kein erhöhtes Risiko. Zusammengefasst ist das Ergebnis der Studien nicht einheitlich.

Das BfS hatte bereits in seiner Stellungnahme zur KiKK-Studie festgestellt, dass die Strahlenbelastung aus dem Betrieb der Kernkraftwerke um den Faktor 1.000 bis 10.000-mal zu gering ist, um die beobachteten Befunde zu erklären. Das Ergebnis aus Frankreich, das zwar ein erhöhtes Erkrankungsrisiko in der Umgebung von Kernkraftwerken zeigt, dies aber nicht mit den Abgaben in Verbindung bringen kann, unterstützt diese Aussage. Ein Zusammenwirken mit anderen Ursachen bleibt denkbar, zumal Erklärungen über andere Verursacher sich als wenig wahrscheinlich erwiesen. Weitere zielgerichtete Forschung zu den Ursachen kindlicher Leukämieerkrankungen ist notwendig.

Weitere Aktivitäten

Auf der Basis der Ergebnisse der KiKK-Studie hat das BfS mit Unterstützung international ausgewiesener Experten ein ambitioniertes Forschungsprogramm entwickelt, mit dem mehr über die Ursachen von Leukämieerkrankungen im Kindesalter in Erfahrung gebracht werden soll; denn derzeit kann man, wenn man alle bekannten Risikofaktoren zusammen nimmt, lediglich etwa 20 % der Leukämieerkrankungen erklären [1].

Diese Aktivitäten des BfS erfolgen in internationaler Abstimmung. Dazu organisiert das BfS seit 2008 regelmäßig internationale Workshops zum Stand der Ursachenforschung von Leukämien im Kindesalter.

Charakteristika der unterschiedlichen Studienarten
Fall-Kontroll-StudieKohortenstudieÖkologische Studie
In einer Fall-Kontroll-Studie werden sowohl für erkrankte Personen (Fälle) als auch für hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbare nicht erkrankte Personen (Kontrollen) Daten auf individueller Ebene erhoben und miteinander verglichen, um die Fragen zu beantworten, ob Fälle häufiger belastet waren als Kontrollen. Die Maßzahl ist das Odds Ratio (OR). Ein Wert von 1 gibt an, dass es keinen Unterschied hinsichtlich der Strahlenbelastung zwischen Fällen und Kontrollen gibt.In einer Kohortenstudie wird eine definierte Bevölkerung über einen längeren Zeitraum beobachtet, um die Frage zu beantworten, ob belastete Personen ein höheres Risiko haben als vergleichbare nicht belastete Personen. Dabei werden auch die Daten auf der individuellen Ebene berücksichtigt. Die Maßzahl ist das relative Risiko (RR). Ein Wert von 1 gibt an, dass es keinen Unterschied hinsichtlich des Erkrankungsrisikos zwischen Exponierten und Nicht-Exponierten gibt.In ökologischen Studien wird die Erkrankungshäufigkeit in verschiedenen Regionen miteinander verglichen (z. B. Umgebung von Kernkraftwerken mit Gesamtdeutschland oder einer definierten Vergleichsregion), um die Frage zu beantworten, ob das Erkrankungsrisiko in einer Region höher ist als in einer anderen. Da dabei keine Daten für einzelne Personen erhoben werden, können auch keine Aussagen zum Einfluss bestimmter Strahlenbelastungen und individueller Störgrößen auf mögliche regionale Unterschiede gemacht werden. Die Maßzahl ist das Verhältnis beobachteter zu erwarteten Fallzahlen (O/E). Ein Wert von 1 gibt an, dass es zwischen den betrachteten Regionen keinen Unterschied in der Erkrankungshäufigkeit gibt.
Vertrauensbereich
Für die jeweilige Maßzahl wird ein Vertrauensbereich (Konfidenzintervall; KI) berechnet. Liegt der Wert 1 innerhalb dieses Vertrauensbereichs, ist das Ergebnis statistisch nicht signifikant. Der Vertrauensbereich wird meist als 95 % -KI angegeben.
Aussagekraft
Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien liefern belastbarere Ergebnisse als ökologische Studien. Prinzipiell dienen sie der Überprüfung festgelegter Fragestellungen im Gegensatz zu den ökologischen Studien, die herangezogen werden, um neue Fragen zu stellen, die dann wieder mit belastbareren Studien überprüft werden müssen. Allerdings werden bei der Fragestellung "Kinderkrebs bei Kernkraftwerken" oft auch ökologische Studien durchgeführt, um andernorts gefundene Ergebnisse zu überprüfen. Dies geschieht, weil ökologische Studien in der Regel schneller und mit deutlich geringerem Aufwand durchgeführt werden können.

Überblick über dem BfS bekannte Studien in chronologischer Reihenfolge

FinnlandEinklappen / Ausklappen

Studien in Finnland
StudienansatzÖkologische Studie, Kohortenstudie, Fall-Kontrollstudie
Anzahl Kernkraftwerke in Finnland:2
Ökologische Studie
Untersuchte Region 7 Gemeinden in der Umgebung der KKW
VergleichsregionFinnland außer den 7 Gemeinden aus der untersuchten Region
Ergebnis kein Hinweis auf erhöhte Erkrankungsrate in der KKW-Umgebung
Kohortenstudie
Anzahl Kinder 1980er Kohorte: 4 Fälle
1990er Kohorte: 3 Fälle
Ergebnis1980er Kohorte: kein erhöhtes Risiko
1990er Kohorte: kein erhöhtes Risiko
Fall-Kontroll-Studie
Anzahl untersuchter Kinder 16 erkrankte Kinder
64 vergleichbare nicht erkrankte Kinder
Ergebnis Abstand < 5 km: Keine erkrankten Kinder
Abstand 5 – 9,9 km: kein erhöhtes Risiko

In Finnland sind zwei Kernkraftwerke in Betrieb. In der Umgebung dieser Reaktoren wurde mit verschiedenen Studienansätzen überprüft, ob die Zahl von Leukämieerkankungen im Kindesalter hier erhöht ist[2]:

  1. eine ökologische Analyse auf Gemeindeebene;
  2. eine doppelte Kohortenstudie auf der Basis der Zensusdaten von 1980 und 1990;
  3. eine Fall-Kontroll-Studie unter Berücksichtigung der individuellen Wohnorthistorien.

Alle drei Studienansätze ergaben keinen Hinweis auf ein über erwarten häufiges Auftreten von Leukämien im Kindesalter, wobei diese Aussage für alle untersuchten Alters- und Entfernungskategorien gilt.

Studienregion war dabei der 15-km-Umkreis um die Kernkraftwerke, die Kontrollregion hatte einen Abstand zwischen 15 und 50 km.

Die ökologische Studie ergab für die sieben Gemeinden in der Umgebung der beiden Kernkraftwerke keinen Hinweis auf eine erhöhte Erkrankungsrate in der Umgebung der Kernkraftwerke (O/E= 1,0 [0,6;1,6]95%KI), wobei der Rest von Finnland als Vergleichsregion herangezogen wurde.

Die beiden Kohortenstudien ergaben relative Risiken von 1,0 [0,3;2,6] 95%-KI für die 1980er beziehungsweise 0,9 [0,2;2,7]95%KI für die 1990er Kohorte. Die Fall-Kontroll-Studie auf der Basis von 16 Fällen und 64 gematchten Kontrollen ergab für eine mittlere Entfernung des Wohnortes der Fälle in der nächsten Umgebung der Kernkraftwerke (5-9,9 km) im Vergleich zur Zone von mehr als 30 km eine Odds Ratio von 0,7 [0,1;10,4]95%KI. Im Umkreis von weniger als 5 km um die Kernkraftwerke gab es weder einen Fall noch eine Kontrolle.

GroßbritannienEinklappen / Ausklappen

Studien in Großbritannien
Studienansatz: ökologische Studie [3], [4], Fall-Kontrollstudie[5]
Anzahl Kernkraftwerke in Großbritannien13 (ohne Sellafield)
Ökologische Studie
Studienzeitraum1969 bis 2004
Anzahl untersuchter Kinder 436 erkrankte Kinder im 25-km-Umkreis
etwa 453 Erkrankungen wurden erwartet
Ergebnis Abstand < 5 km: leicht erhöhtes Risiko für Kinder bis 4 Jahre
Abstand > 5 km: Kein erhöhtes Risiko
Fall-Kontrollstudie
Studienzeitraum1969-2007

Anzahl untersuchter Kinder

18.205 Kinder unter 15 Jahren, die an Leukämie oder einem Non-Hodgkin Lymphom erkrankt sind
18.205 vergleichbare nicht erkrankte Kinder

Ergebnis

Abstand < 5 km: kein erhöhtes Risiko
Abstand > 5 km: kein erhöhtes Risiko

Aufgrund der Ergebnisse der KiKK-Studie wurden in Großbritannien zunächst weitere ökologischen Analysen durchgeführt, die versuchten, das Fall-Kontroll-Design der KiKK-Studie so weit wie möglich zu reproduzieren.

Für akute Leukämien erbrachte die Auswertung im 5-km-Umkreis mit einem Verhältnis von beobachteten zu erwarteten Fällen von 1,23 [0,73;1,95]95%KI ein leicht erhöhtes Risiko bei 0-4jährigen Kindern[3]. Die Zahl der beobachteten Fälle lag hier bei 18 gegenüber 14,58 erwarteten.

Eine weitere Auswertung wurde für alle Leukämien und Non-Hodgkin-Lymphome, die bei Kindern im Alter von 0 bis 4 Jahren zwischen 1969 und 2004 im Umkreis von 25 km der 13 Kernkraftwerke diagnostiziert wurden, durchgeführt[4]. Insgesamt gingen 430 Fälle in die Analyse ein, 20 davon lebten im Umkreis von weniger als 5 km um die Kernkraftwerke. Verglichen mit der landesweiten Erkrankungshäufigkeit zeigte sich im 5-km-Umkreis ein statistisch nicht signifikant leicht erhöhtes Risiko (O/E= 1,22 [0,75;1,89]95%KI).

Die Fall-Kontrollstudie umfasste insgesamt 18.205 Fall-Kontroll-Paare im Alter bis zu 14 Jahren mit den Diagnosegruppen Leukämien und Non-Hodgkin-Lymphome. Für die am meisten interessierende Altersgruppe der unter 5jährigen Kinder lag das Odds Ratio bei 0,86 [0,49;1,52]95%KI. Hier gingen 9.821 Fall-Kontroll-Paare in die Analyse ein.

Es wurde ferner geprüft, ob die Berücksichtigung der Adresse bei Geburt oder zum Zeitpunkt der Diagnose einen Einfluss auf das Ergebnis hat. Dies ist nur in geringem Maße der Fall und ändert das Ergebnis nicht.

Befunde in verschiedenen Altersklassen

Für keine der untersuchten Altersgruppen (0-4, 5-9, 10-14 und 0-14 Jahre) zeigte sich im 5-km-Umkreis um die Anlagen ein statistisch signifikantes Ergebnis. Die Odds Ratios nehmen mit zunehmendem Alter zu, ohne jedoch statistische Signifikanz zu erreichen.

Verschiedene Diagnoseuntergruppen

Auch wenn verschiedenen Diagnoseuntergruppen untersucht wurden (lymphatische Leukämie, akute myeloische Leukämie, alle Leukämien) ergaben sich bei den unter 5jährigen im 5-km-Umkreis jeweils Odds Ratios, die nicht-signifikant größer als 1 waren.

Berücksichtigung der Anlage Sellafield

Wurde die Anlage Sellafield mit in die Analyse aufgenommen, so stieg das Odds Ratio für Leukämien und Non-Hodgkin-Lymphome auf 1,08, war aber weiterhin statistisch nicht signifikant.

SchweizEinklappen / Ausklappen

Studienansatz: Kohortenstudie
Ergebnisse der Kohortenstudie in der Schweiz
Anzahl kerntechnischer Anlagen in der Schweiz13 (davon 5 Kernkraftwerke)
Geburten1985 bis 2009
Ergebnisse
Anzahl untersuchter Kinder 2.925 erkrankte Kinder, davon 953 Leukämieerkrankungen
bei 1.240.198 Kindern auf Basis Zensus 1990
und 1.333.538 Kindern auf Basis Zensus 2000
Ergebnis Abstand < 5 km: leicht erhöhtes Risiko (nicht statistisch signifikant)
Abstand 5-10 km: kein erhöhtes Risiko
Abstand 10-15 km: leicht erhöhtes Risiko (nicht statistisch signifikant)

In der Schweiz wurde auf der Basis der vorhandenen Register (Geburten, Wohnort, Kinderkrebs) eine Kohortenstudie (CANUPIS Studie) bei Kindern durchgeführt[6]. Sie umfasste alle Geburten zwischen 1985 und 2009. Ferner wurde auf der Basis der Einwohnermelderegister geprüft, ob Kinder, die in der Umgebung von Kernkraftwerken wohnten, ein gegenüber anderen Kindern erhöhtes Krebs- oder Leukämierisiko aufweisen. In dieser Studie wurde die Altersgruppe der 0-14jährigen untersucht.

Insgesamt umfasste die Studie 2.925 Kinder (bei 21.117.524 Personenjahren), bei denen eine bösartige Neubildung diagnostiziert wurde, bei 953 von ihnen war die Diagnose Leukämie. Der Geburtsort beziehungsweise der Wohnort wurde geocodiert, ebenso die Standorte der Atomkraftwerke.

Als Vergleichsregionen dienten Orte, die mehr als 15 km von einem Atomkraftwerk entfernt lagen. Für einen Abstand von weniger als 5 km vom nächsten Kernkraftwerk ergab sich ein statistisch nicht signifikantes relatives Risiko für Leukämien von 1,20 [0,60;2,41]95%KI bei den 0-4jährigen und 1,05 [0,60;1,86] bei den 0-14jährigen.

Ergebnis

Die Ergebnisse waren ähnlich für die Geburts- und für die Wohnortskohorte. Eine Adjustierung nach möglichen Confoundern führte zu keiner Veränderung der Befunde, und die Ergebnisse von Sensitivitätsanalysen waren vergleichbar mit denen aus der Hauptauswertung.

Confounder

Berücksichtigte Confounder waren:

  • sozio-ökonomischer Status,
  • natürliche Hintergrundstrahlung,
  • Belastung durch elektro-magnetische Felder,
  • Abgase durch Straßenverkehr oder Pestizidbelastung,

wobei die letzten drei durch den Abstand von Hochspannungsleitungen, Hauptstraßen beziehungsweise spezifischen landwirtschaftlich genutzten Flächen bestimmt wurden.

Ein negativer Abstandstrend des Risikos mit zunehmendem Abstand vom Kernkraftwerk wurde nicht beobachtet.

FrankreichEinklappen / Ausklappen

Studienansatz: Fall-Kontrollstudie
Ergebnisse der Fall-Kontrollstudie in Frankreich
Studienzeitraum2002-2007
Anzahl Kernkraftwerke in Frankreich13
Ergebnisse
Anzahl untersuchter Kinder 2.753 an Leukämie erkrankte Kinder
30.000 vergleichbare nicht erkrankte Kinder
Ergebnis Abstand < 5 km: leicht erhöhtes Risiko
Abstand > 5 km: kein erhöhtes Risiko

Die in Frankreich durchgeführte GEOCAP-Studie war wie die KiKK-Studie eine Fall-Kontroll-Studie [7].

In die Auswertung gingen 2.753 Kinder ein, bei denen in dieser Zeit eine akute Leukämie diagnostiziert wurde und die im französischen Kinderkrebsregister erfasst wurden. Die Adressen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung wurden geocodiert, ebenso die von 30.000 nach Alter und Geschlecht gematchten Kontrollen sowie die Standorte der 19 französischen Kernkraftwerke.

Als Expositionsmaße dienten zum einen

  • der Abstand vom Kernkraftwerk, zum anderen
  • geografischen Zonen, für die die Knochenmarksdosen auf Grund der luftgetragenen radioaktiven Abgaben der Kernkraftwerke abgeschätzt wurden [8].

Auf der Basis von 14 Fällen errechnete sich ein Odds Ratio von 1,9 [1,0;3,3]95%KI für den Umkreis von 5 km, das heißt, es erkrankten doppelt so viele Kinder wie erwartet. Als Vergleich dienten dabei Regionen, die weiter als 20 km vom nächsten Kernkraftwerk entfernt waren.

Außerhalb der 5-km-Zone zeigte sich kein erhöhtes Risiko, ebenso zeigte sich kein Hinweis auf einen negativen Abstandstrend.

Befunde in den verschiedenen Altersklassen

Die Befunde für

  • 0 - 4-jährige,
  • 5 - 9-jährige und
  • 10 - 14-jährige waren vergleichbar.

Die Berücksichtigung von bestimmten Charakteristiken der Gemeinden veränderte das Ergebnis nicht. Auch das Weglassen je eines Kernkraftwerks aus der Analyse führte zu keiner Veränderung der Befunde.

Wurde allerdings die abgeschätzte Dosis als Indikator für die Strahlenbelastung herangezogen und nicht der Abstand vom Kernkraftwerk, so ergaben sich keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko, die Odds Ratios lagen nahe bei 1.

BelgienEinklappen / Ausklappen

Studienansatz: ökologische Studie
Ergebnisse der ersten ökologischen Studie in Belgien
Studienzeitraum2004-2008
Studienzeitraum für Flandern2000-2008
Untersuchte RegionenUmgebung von fünf kerntechnischen Einrichtungen, davon drei Kernkraftwerke (eines davon in Frankreich)
Ergebnisse
Anzahl untersuchter Kinder 491 Kinder unter 15 Jahre mit Leukämie in Belgien
Ergebnis Abstand < 20 km: kein erhöhtes Risiko
Abstand < 5 km: leicht erhöhtes Risiko (nicht statistisch signifikant)
Ergebnisse der erweiterten ökologischen Studie in Belgien
Studienzeitraum2006-2016
Untersuchte RegionenUmgebung von vier kerntechnischen Einrichtungen in Belgien, davon zwei Kernkraftwerke
Ergebnisse
Anzahl untersuchter Kinder 808 Kinder unter 15 Jahre mit Leukämie in Belgien
Ergebnis statistisch signifikant erhöhtes Risiko sowohl für Kinder unter 15 Jahren als auch für Kinder unter 5 Jahren < 5 km von einer kerntechnischen Einrichtung (Mol-Dessel)

Die NUCABEL-Studie in Belgien ist im Gegensatz zu den genannten Studien nicht als Folge der KiKK-Studie zu sehen.

Anlass der Untersuchungen

Im Jahre 2008 passierte in einer radiochemischen Industrieanlage in der Stadt Fleurus ein Unfall, der mit Freisetzungen radioaktiven Jods-131 verbunden war. In dessen Nachgang wurde die NUCABEL-Studie durchgeführt mit dem Ziel zu überprüfen, ob die Freisetzungen zu erhöhten Raten von Schilddrüsentumoren und Leukämien geführt haben. Gleichzeitig wurde auch die Umgebung anderer kerntechnischer Einrichtungen in die Untersuchung aufgenommen [9].

Es wurde ein ökologischer Studienansatz gewählt, mit dem die Inzidenz von Leukämien und Schilddrüsentumoren in der Umgebung von fünf kerntechnischen Einrichtungen, davon drei Kernkraftwerke, untersucht wurde. Die Umgebung der grenznahen französischen Anlage Chooz wurde mitberücksichtigt.

Der Studienzeitraum umfasst für Flandern die Jahre 2000-2008, ansonsten 2004-2008. Von den in diesem Zeitraum in Belgien registrierten 491 Leukämieerkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren lebten 20 in einem Abstand von weniger als 20 km von den kerntechnischen Einrichtungen. Für akute Leukämien im Kindesalter ergab sich daraus ein Verhältnis von beobachteten zu erwarteten Fällen von 0,87 [0,69;1,09]95%KI. Für Kinder unter 5 Jahren im 5-km-Abstand betrug dieses Verhältnis 1,00 [0,16-6,26]95%KI. Das Ergebnis war wie erwartet, basiert allerdings auf nur einem Fall.

Eine getrennte Analyse [10] für die einzelnen Einrichtungen ergab, dass das Erkrankungsrisiko in der Umgebung der zwei Kernkraftwerke Doel und Tihange sowie um die Anlage in Fleurus, einem der größten Hersteller radioaktiver Isotope in Europa, nicht erhöht ist. Für die Umgebung der Anlage in Mol-Dessel, in der verschiedene Aktivitäten im Bereich der Nukleartechnik stattfinden, ergab sich eine zwei- bis dreifache Erhöhung der Inzidenzrate für akute Leukämie bei Kindern. Hier gab es Hinweise auf eine Zunahme des Risikos mit der Nähe zu der Anlage, der vorherrschenden Windrichtung und simulierten radioaktiven Freisetzungen. Die Ergebnisse hängen jedoch stark von den Ergebnissen aus einer Gemeinde ab, in der drei Fälle aufgetreten sind.

In einer neuerlichen Analyse [11] mit kleineren Untersuchungsregionen und längerem Studienzeitraum wurde die Erhöhung der Inzidenzrate um die Anlage in Mol-Dessel bestätigt. Es fanden sich ebenfalls wieder Hinweise auf eine Zunahme des Risikos mit verschiedenen Ersatzmaßen für die Strahlendosis. Ersatzmaße werden verwendet, da die Strahlendosis selbst nicht bestimmt werden kann.

Weitere Informationen

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Stand: 02.08.2022